Mittelbayerische Zeitung: Interview mit Michael Vesper, Generaldirektor des Deutschen Olympischen Sportbundes: "Mir blutet mein grünes Herz, wenn ich das sehe"
Regensburg (ots)
Michael Vesper sprach mit Reinhard Zweigler über die Winterspiele und Putins Gigantismus.
Herr Vesper, das deutsche Olympiateam soll in Sotschi 30 Medaillen gewinnen, wie in Vancouver. Warum schon wieder dieser Druck auf die Athleten, zählt eine Olympiateilnahme gar nichts mehr?
"Für jeden Sportler ist die Teilnahme an Olympischen Spielen der Höhepunkt seiner Laufbahn. Jeder versucht, bei diesem Großereignis seine Bestleistung abzuliefern. Die Athleten gehen voll konzentriert und mit einer hohen Erwartungshaltung an sich selbst an den Start. Der Druck wird also zum größten Teil gar nicht von außen aufgebaut. Wir haben den Verbänden auch keine Medaillen vorgegeben, sondern mit ihnen besprochen, welche Medaillenpotenziale sie sehen. Heraus kam ein Zielkorridor von 27 bis 42 Medaillen. Wir hoffen, dass wir wie in Vancouver etwa 30 gewinnen - und vielleicht noch eine mehr als vor vier Jahren. Keiner will ja Rückschritt. Aber das wird sehr schwer."
Also doch Platz eins in der Nationenwertung, oder zumindest vor Gastgeber Russland ankommen?
"Offiziell gibt es diese Nationenwertung gar nicht. Trotzdem schaut die Öffentlichkeit fasziniert hin. Und ich gebe zu: Auch wir werfen immer mal einen Blick drauf. Wenn Sie sich erinnern: Am vierten Tag der Spiele von London, als deutsche Sportler noch keine Medaille errungen hatten, kam eine große Zeitung mit der Zeile heraus: ,Totaler Olympia-Fehlstart. Über uns lachen sogar die Kasachen!'"
Sind 30 Medaillen wirklich realistisch, erst recht weil einige Spitzenleute wie Magdalena Neuner oder André Lange aufgehört haben?
"Sie haben Recht, einige erfolgreiche Athleten haben ihre Karriere beendet. Dazu zähle ich auch Verena Bentele, die bei den Paralympics große Erfolge erzielte und nun Behindertbeauftragte der Bundesregierung ist, was mich sehr freut. Doch in der aktuellen Olympiamannschaft stehen viele tolle junge Sportler, die teilweise schon bei den Olympischen Jugendspielen auf sich aufmerksam machten. Dazu kommen bewährte Kräfte wie Maria Riesch, Felix Loch, Aljona Savchenko und Robin Szolkowy, Claudia Pechstein und andere. Ich bin sehr zuversichtlich, dass sie in Sotschi gut abschneiden werden."
Wie sicher sind Athleten, Trainer und Zuschauer in Sotschi, erst recht nach den Attentaten in Wolgograd?
"Diese Anschläge waren schrecklich. Wir gehen jedoch davon aus, dass die russischen Behörden optimal für die Sicherheit von Sportlern und Zuschauern sorgen werden. Das ist die Aufgabe der Gastgeber. Darüber hinaus stehen wir aber auch in engem Kontakt mit den deutschen Sicherheitsbehörden und vertrauen auf deren Ratschläge."
Müssten Sie als Chef de Mission einen deutschen Sportler nach Hause schicken, der sich, wie Thomas Hitzlsperger, als homosexuell outet?
"Nein, warum sollte das so sein? Es ist die freie Entscheidung jedes einzelnen, sich zu outen oder nicht. Wenn jemand dies tun möchte und mich um Rat fragen würde, hätte er meine volle Unterstützung. Und selbstverständlich bliebe ein Sportler oder eine Sportlerin Mitglied der Olympiamannschaft - auch nach einem Coming-out. Daran besteht und bestand nie ein Zweifel."
Ist ein Regenbogensticker an der Olympiakleidung bereits eine politische Äußerung?
"Olympische Winterspiele sind ein großes Sportfest, an dem Sportler aus rund 90 Nationen teilnehmen, die sich zu Wettkämpfen, im Olympischen Dorf und bei vielen anderen Gelegenheiten treffen. Es gibt keinerlei Restriktionen für Sportler, sich politisch zu äußern. Jedem ist es unbenommen, in Interviews seine Meinung zu sagen. Doch die Olympischen Wettkämpfe sollen eine Bühne des Sports bleiben. Verboten sind deshalb an den Sportstätten und im Olympischen Dorf demonstrative Aktionen."
Die russische Regierung hat Gefangene begnadigt, das Demonstrationsrecht gelockert. Sind das alles nur kosmetische Maßnahmen, um Sotschi in ein gutes Licht zu rücken?
"In Russland ist viel in Bewegung gekommen. Wie diese Entwicklungen politisch zu bewerten sind, überlasse ich der Politik. Das IOC hat sichergestellt, dass die Olympischen Prinzipien gelten, auch was den Schutz von Minderheiten betrifft."
Der ebenfalls freigelassene Ex-Ölmilliardär Michail Chodorkowski warnt, es dürften nicht die Spiele von Putin werden, sondern die des Sports. Hat er Recht?
"Sie werden immer beides sein. Die jeweilige Regierung nutzt Olympische Spiele für den eigenen Prestigegewinn, das war bei der Fußball-WM 2006 in Deutschland und jetzt in London so, das wird so sein in Russland und Brasilien. Doch in erster Linie sind die Spiele ein Fest des Sports und der Sportler und müssen das auch bleiben.
Mit dem russischen Gigantismus, mit 50 Milliarden Dollar, die in die Berge des Kaukasus verbaut wurden, haben Sie kein Problem?
"Doch, mir blutet mein grünes Herz, wenn ich die Eingriffe in die Natur sehe. In Sotschi musste alles neu gebaut werden: die Sportanlagen, Hotels, Straßen und es wurde erheblich teurer als geplant. Das hat es so in der Geschichte der Olympischen Spiele noch nicht gegeben. Das Gegenmodell war die deutsche Olympia-Bewerbung von München für nachhaltige Winterspiele 2018, wo im Grunde bereits alles da gewesen ist."
Eine Neubewerbung für Winterspiele aus Bayern hat eine knappe Mehrheit von Bürgern verhindert, nach den Niederlagen von Berchtesgaden für die Winter- sowie von Berlin und Leipzig für Sommerspiele, wird es in den nächsten zehn, 15 Jahren wieder eine deutsche Bewerbung geben?
"Ich hoffe das. Wir werden nach den Spielen von Sotschi über eine mögliche neue deutsche Bewerbung für Olympische Spiele beraten. Ich kann nur sagen: Die nächste Bewerbung muss sitzen, auch wenn es vielleicht nicht im ersten Anlauf klappt."
Hat Sie die Absage von Joachim Gauck, der nicht nach Sotschi fährt, geärgert?
"Wir hätten den Bundespräsidenten, der Schirmherr des DOSB ist, gern in Sotschi gehabt. Er hat die Sportler der Spiele und Paralympics in London begeistert angefeuert. Joachim Gauck steht auch in diesem Jahr voll und ganz hinter der Mannschaft. Seine Absage ist kein Statement gegen den Sport oder gegen die Mannschaft. Er wird die Olympiamannschaft am 24. Februar in München empfangen und willkommen heißen. Darüber freuen wir uns sehr."
Themenwechsel: Die schwarz-rote Koalition will Doping und Spielmanipulation künftig per Strafgesetz ahnden. Hebelt das allerdings nicht die bestehende Sportgerichtsbarkeit aus?
"Es wird in der Tat ein Kunststück, beide Rechtssysteme konstruktiv zusammenzubringen. Die Sportgerichtsbarkeit handelt schnell, sie urteilt international und wohl auch härter als ein staatliches Gericht, das ein Dopingvergehen vielleicht erst nach drei Jahren mit einer Geldbuße oder allenfalls einer Bewährungsstrafe ahnden würde und dabei die Unschuldsvermutung zugrunde legen müsste."
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