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Mittelbayerische Zeitung: Kommentar zum Thema Zuwanderung

Regensburg (ots)

von Maria Gruber, MZ

Die Gesellschaft schrumpft und altert, die Sozialversicherungssysteme drohen auf lange Sicht in die Knie zu gehen. Die Wirtschaft buhlt um Fachkräfte aus dem Ausland, weil die Unternehmen schon heute nicht mehr wissen, wie sie die freien Stellen besetzen sollen - auch in Ostbayern: Der Industrie fehlen Ingenieure, weshalb diese auch im Nachbarland Tschechien angeworben werden; Landärzte müssen ihre Praxen zusperren, weil sich kein Nachfolger unter dem deutschen Medizinernachwuchs findet. Interesse zeigen Ärzte aus dem Ausland, die sich mancherorts für den Einsatz auf dem flachen Land vorbereiten. Außerdem weiß niemand, wer sich einmal um die vielen Pflegebedürftigen kümmern soll. Heute schon pflegen etwa 100 000 Frauen aus Osteuropa Oma und Opa. Ein Pilotprojekt holt nun 150 chinesische Pflegefachkräfte nach Deutschland, um den Fachkräftemangel zu kompensieren. "Einwanderung tut diesem Land sehr gut", sagte Bundespräsident Joachim Gauck kürzlich. Deutschland braucht Zuwanderung sogar - und dessen sind sich - laut aktuellem ZDF-Politbarometer - auch die meisten bewusst. Eigentlich. Wären da nicht diese irrationalen Ängste vor der Andersartigkeit, die Vorurteile dem "Fremden" gegenüber, die in vielen Menschen schlummern - und die von bestimmten Parteien vorzugsweise dann gezielt aktiviert werden, wenn Wahlen bevorstehen. So wie jetzt. "Wer betrügt, der fliegt", hieß die unsägliche Kampagne, die die CSU gestartet hatte, bevor am 1. Januar für Rumänen und Bulgaren die volle Arbeitnehmerfreizügigkeit in der EU in Kraft trat. Erinnerungen an 2011 wurden wach, als am 1. Mai für Esten, Letten, Litauer, Polen, Slowaken, Slowenen, Tschechen und Ungarn die Schranken auf dem EU-Arbeitsmarkt fielen. Die "Einwanderungswelle", vor der damals selbstredend die CSU besonders gewarnt hatte, blieb erwartungsgemäß aus. Vielmehr sind Betriebe vor allem in strukturschwachen Regionen heute froh, ohne großen bürokratischen Aufwand auf qualifizierte Arbeitskräfte aus diesen Ländern zurückgreifen zu können. Nun haben es die Christsozialen wieder getan. Wieder hat die CSU gezündelt und gehörigen Schaden angerichtet. So zeigt das ZDF-Politbarometer, dass die Zuwanderung für die Bürger neuerdings das "wichtigste Problem" in Deutschland darstellt. 22 Prozent gaben dies bei der Umfrage im Januar an. Im Dezember waren es über zehn Prozent weniger gewesen. Zudem teilen 62 Prozent der Befragten den von der CSU erhobenen Vorwurf, dass viele der Zuwanderer aus Bulgarien und Rumänien nur nach Deutschland kommen, um Sozialleistungen in Anspruch zu nehmen. Bundespräsident Joachim Gauck hat schon Recht: Vor lauter politischer Korrektheit die tatsächlich bestehenden Probleme zu ignorieren, die Zuwanderung aus diesen Ländern mit sich bringen kann, wäre völlig falsch. Doch hier wurden Realitäten verzerrt. Es ist höchste Zeit, dafür zu sorgen, dass in dieser irrationalen Zuwanderungsdebatte endlich wieder die Fakten sprechen. Und die wären, dass einer Studie des Kölner Instituts der deutschen Wirtschaft zufolge seit 2000 die Qualifikation der Einwanderer stetig zunimmt; dass jeder vierte Zuwanderer aus Südosteuropa ein Akademiker ist; dass 29 Prozent der in den 2000er Jahren Zugewanderten über einen Studienabschluss verfügt; und dass der Anteil der Akademiker unter den Einwanderern über dem deutschen Bevölkerungsschnitt liegt. Und es wird Zeit, dass der Wahlkampf endlich vorbei ist, damit sich die CSU wieder beruhigen kann. Bis dahin macht der EU-Abgeordnete und Vize-Fraktionschefs der Europäischen Volkspartei (EVP), Manfred Weber, Hoffnung, der von seiner Partei fordert, sich im Europawahlkampf nicht nur auf das Thema Zuwanderung beschränken. "Wir müssen mehr für Zukunftsthemen eintreten", sagte der niederbayerische CSU-Bezirksvorsitzende. Damit hat er einen Schritt richtig gemacht - es gibt mehr Themen als die Zuwanderungsdebatte. Jedoch darf seine Partei nicht vergessen: Ein Zukunftsthema ist auch die Zuwanderung - dann, wenn sie von unnötigen Ängsten befreit ist und als Chance wahrgenommen wird.

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