Mittelbayerische Zeitung: Kommentar zu Martin Schulz in Israel
Regensburg (ots)
von Stefan Stark, MZ
Es gibt keinen anderen Ort für einen deutschen Politiker, der mit so vielen Fallstricken versehen ist wie das israelische Parlament. Eine Rede vor der Knesset - noch dazu in der Muttersprache - bedeutet einerseits natürlich eine große Ehre. Andererseits stellt sie eine höchst diffizile Angelegenheit dar - egal ob nun die Bundeskanzlerin spricht oder der Präsident des Europaparlaments. Es versteht sich aus der geschichtlichen Verantwortung Deutschlands heraus von selbst, dass der Redner einen umfassenden Bogen spannen muss. Er muss die historische Urschuld des Holocausts ansprechen und gleichzeitig das Existenzrecht Israels betonen. Nun also hat Martin Schulz, der Präsident des EU-Parlaments, einen Eklat ausgelöst - obwohl er das oben genannte Pflichtenheft brav abgearbeitet hat und der Tenor seiner Rede absolut israelfreundlich war. Er versicherte die Solidarität gegen Bedrohungen von außen, er unterstützte das Recht Israels, seine Menschen zu schützen und er erklärte, dass Israelis und Palästinenser nur selbst Frieden schließen können. Doch einen entscheidenden Fehler muss sich Schulz vorwerfen lassen: Als er die hochbrisante Wasserfrage ansprach, hantierte er mit Zahlen, die er ungeprüft übernahm. Das ist ein schweres diplomatisches Missgeschick, mit dem sich Schulz angreifbar macht und das ultranationale Parteien natürlich dankbar nutzen, um Tumulte zu provozieren. So machte sich Schulz selbst zum Spielball der innenpolitischen Konflikte in Israel. In dem Krawall geht völlig unter, dass der EU-Politiker eine durchaus berechtigte Frage gestellt hat. Dass die Israelis vom knappen Wasser im Westjordanland viel größere Mengen abschöpfen als die Palästinenser, räumt etwa der frühere Botschafter Avi Primor ganz offen ein. Dabei ist die Wasserverteilung ein zentraler Konflikt, der bald die gesamte Region vor eine Zerreißprobe stellen könnte. Die dünnhäutigen Reaktionen in der Knesset auf die Rede von Schulz rühren aber nicht daher, weil ein Deutscher in der Knesset einen Fauxpas begangen hat. Schulz wurde von den Politikern, die aus Protest den Saal verließen, sehr wohl als ranghoher Vertreter der EU wahrgenommen. Der Eklat zeigt vor allem, dass sich bei vielen Politikern in Israel zunehmend die Angst vor einer Isolation breitmacht. Man fühlt sich von den Europäern, die auf den Stopp des illegalen Siedlungsbaus und eine Zwei-Staaten-Lösung drängen, im Stich gelassen - und fürchtet gleichzeitig wirtschaftlichen Druck. Natürlich kann ein EU-Parlamentspräsident nicht nur die Dinge sagen, die allen gefallen. Doch wer sich von der EU gegängelt, bevormundet und unter Druck gesetzt fühlt - wie Teile der israelischen Politik - reagiert besonders empfindlich. Dann wird eine Kritik, die in einem mehrseitigen Redemanuskript zwei Zeilen ausmacht, schnell zu einer unerbetenen oder unverschämten Einmischung von außen skandalisiert. Es war sicher nicht die Absicht von Schulz, mit seinem Wasservergleich einen Eklat zu provozieren. Aber es ist ihm gelungen, bei denen, die ihn falsch verstehen wollten, falsch verstanden zu werden. Schulz, der EU-Kommissionspräsident werden will, wird nun vor Augen geführt, wie groß die Fallhöhe bei einem Auftritt in der Knesset sein kann. Dieses Forum ist eben nicht - so wie er erklärte - mit dem EU-Parlament vergleichbar, wo ab und an durchaus raue Sitten herrschen. Vielmehr ist es eine Art Bewährungstest für die hohe Kunst der Diplomatie. Für den anstehenden Europawahlkampf mögen die Schlagzeilen aus Israel dem SPD-Spitzenkandidaten Schulz sogar nützlich sein. Ein Empfehlungsschreiben für den Kommissionsvorsitz sind sie allerdings nicht. Seine politischen Gegner in Europa werden die Knesset-Rede instrumentalisieren, um ihn für diesen Posten zu diskreditieren.
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