Mittelbayerische Zeitung: Das Vertrauen ist zerstört: Die Edathy-Affäre stürzt die große Koalition in eine tiefe Krise. Jetzt sind die Parteichefs gefordert. Von Reinhard Zweigler
Regensburg (ots)
Die Union-SPD-Koalition ist gerade einmal zwei Monate im Amt. Noch keine 100 Tage, die man früher neuen Regierungen für ihre Startphase zubilligte, ohne sie hart anzupacken. Doch Schwarz-Rot bringt offenbar das Kunststück fertig, vom Startmodus übergangslos in den Krisenmodus überzugehen. Das unappetitliche Fall Edathy wuchs sich zu einer veritablen Koalitionskrise aus. Ob daraus vielleicht sogar eine schwere Regierungskrise wird, haben maßgeblich die drei Parteichefs in der Hand. Sie wollen in einem Spitzengespräch am heutigen Abend die Wogen glätten. Vor allem müssen sie das zerstörte Vertrauen wieder herstellen. Einfach wird das nicht. Doch die Alternativen zum Sich-Zusammenraufen und Klartext-Reden hießen: das Misstrauen zwischen Schwarzen und Roten weiter wuchern lassen, eine völlig neue Koalition zu bilden - Schwarz-Grün und Rot-Rot-Grün sind allerdings wenig realistisch. - oder Neuwahlen. So gewichtig ist der Fall Edathy denn nun auch wieder nicht, dass darüber die gesamte Regierung straucheln müsste. Der Schaden, der bereits angerichtet wurde, ist allerdings jetzt schon immens. Viel Vertrauen der Bürger in diese Groß-Koalition ist zerstört. Das Vertrauen der Koalitionäre untereinander auch. Was die Situation in Berlin jetzt so vertrackt macht, ist die schwierige Gemengelage aus politischen, rechtlichen und moralischen Aspekten des Falles Edathy. In der CSU ist man zu Recht furchtbar sauer, dass der Ex-Innen - und Ex-Agrarminister Hans-Peter Friedrich das alleinige Opfer sein soll. Und gerade jetzt, kurz vor Wahlen in Bayern, muss man dieser "Schmach" resolut entgegentreten. Der Oberfranke Friedrich hat mit seiner Mitteilung über den Fall Edathy an Sigmar Gabriel der SPD helfen wollen, in bester Absicht. Was von Gabriel nun auch ausdrücklich gelobt wurde. Freilich hat sich Friedrich mit dem Ausplaudern von Interna aus Kreisen des Bundeskriminalamtes rechtlich angreifbar gemacht. Die Frage bleibt, warum der Minister überhaupt über die Ermittlungen informiert wurde. Dass Friedrich im Oktober während der Koalitionsverhandlungen die Warnung im Fall Edathy weitergab, geschah zumindest in einer rechtlichen Grauzone. Einen Minister allerdings, auf dem auch nur der Schein eines Unrechts ruht, kann sich die Kanzlerin nicht im Kabinett erlauben. Friedrichs Rücktritt war nicht nur hochanständig, sondern auch rechtlich konsequent. Es war damit ein Rücktritt, dem durchaus eine politische Wiedergeburt folgen könnte. CSU-Chef Seehofer sucht offenbar bereits nach einer gebührenden Anschlussverwendung für den Oberfranken. Zumal der sich als Landwirtschaftsminister "sauwohl" fühlte. Inzwischen ist aus dem Ermittlungsfall Edathy auch eine Causa Thomas Oppermann geworden. Der SPD-Fraktionschef habe die interne Mitteilung Friedrichs ohne Not ausgeplaudert und öffentlich gemacht, lautet der Vorwurf der CSU. Doch so nachvollziehbar die Verbitterung bei den Christsozialen über den SPD-Mann ist, seinen Rücktritt oder Rauswurf aus dem Amt, nach dem Motto: Auge um Auge und Zahn um Zahn, wird es nicht geben. Einen politischen "Preis" für das Verbleiben Oppermanns an der SPD-Fraktionsspitze wird die CSU auch nicht einfordern können. Diese Rechnung wird offenbleiben - Schwarz-Rot muss dennoch vernünftig weiter arbeiten.
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