Mittelbayerische Zeitung: Priester, die den Geruch ihrer Herde verströmen - Nur wenn die Kirche glaubhaft die Schwachen stärkt, kann sie gesellschaftlich wieder mehr Einfluss üben. Von Julius Müller-Meiningen
Regensburg (ots)
Die katholische Kirche hat an Ostern die Auferstehung Christi gefeiert. Papst Franziskus musste sich dieser Tage aber auch über die Wiederkehr alter Laster ärgern. Der ehemalige Kardinalstaatssekretär Tarcisio Bertone, der zweite Mann im Vatikan unter Benedikt XVI. und Protagonist verschiedener Kirchen-Skandale jüngerer Zeit, will demnächst sein 700-Quadratmeter-Loft im Vatikan beziehen, so musste der Papst entsetzt erfahren. Franziskus lebt bekanntlich auf 40 Quadratmetern im spartanischen vatikanischen Gästehaus Santa Marta, direkt gegenüber des neuen Luxus-Domizils von Bertone. Der Papst hält Attitüden wie die des ehemaligen Kardinalstaatssekretärs für das Ende der von ihm seit mehr als einem Jahr geleiteten Institution. An Ostern war der 77 Jahre alte Priester Jorge Mario Bergoglio aus Argentinien wieder auf allen Nachrichtenkanälen zu sehen. Und mit ihm der Eindruck, dass da nun einer an der Spitze der weltweit größten, 1,2 Milliarden Menschen umfassenden Glaubensgemeinschaft steht, der Privilegien und Selbstgefälligkeit des Klerus den Kampf angesagt hat. Um wieder Autorität zu gewinnen, um die Heilsbotschaft des Evangeliums wieder glaubwürdig verkünden zu können, muss die Institution Kirche sich auf den Kern ihrer Existenz besinnen. Priester, Bischöfe und Kardinäle müssen authentisch sein und "den Geruch ihrer Herde verströmen", wie Franziskus sagt. Wer Nächstenliebe predigt, kann nicht wie ein Renaissancefürst leben. Männer wie Bertone oder der geschasste Limburger Bischof Tebartz-van-Elst, der Millionen für den neuen Bischofssitz in seiner Diözese verpulverte, schaden der Kirche. Denn sie muss an die Grenzen der menschlichen Existenz gehen, sich um die Schwächsten der Gesellschaft kümmern, so fordert Franziskus. Vor Ostern ließ er bis zu 50 Euro an mehr als hundert Obdachlose in Rom verteilen, die auf Bahnhöfen übernachten. Man mag einwenden, es handelte sich dabei um symbolische Unterstützung angesichts des Leids überall in der Welt. Doch diese Gesten untermauern die Worte des Papstes, der mit traumwandlerischer Sicherheit die Prinzipien der Medienwelt beherrscht. Er ist greifbar, formuliert synthetisch und teilweise mit Witz. Ist Franziskus deshalb oberflächlich, wie ihm vor allem seine Gegner im Vatikan vorwerfen? Macht der Papst mit seinem Vorsatz ernst, etwa auch die Vatikanbank von einem Geldwäsche-Institut zu einer wahrhaft karitativen Organisation umzuwandeln, kann er seine Kritiker Lügen strafen. Die Botschaft des Papstes, die an den Kern christlicher Ideale rührt, ist auch für Kirchenkritiker akzeptabel, die mit dem moralischen Zeigefinger aus Rom schon lange nichts mehr anfangen können. Franziskus legt den von zahlreichen Affären verdeckten Sinn christlicher Existenz wieder frei, auch wenn er sich in wichtigen Fragen wie Abtreibung oder Homo-Ehe nicht von den Hardlinern im Vatikan unterscheidet. Er hat jedoch erkannt, dass die Kirche mit der Betonung von Verboten nicht weiterkommt. Zuviel Kredit hat sie durch Skandale wie den des Kindesmissbrauchs durch Kleriker, durch Geldwäsche in der Vatikanbank und interne Streitigkeiten verspielt. Nur wenn die Kirche ihre Identität als Verteidigerin der Schwächsten stärkt, kann sie erwarten, auch gesellschaftlich wieder mehr Einfluss zu üben.
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