Mittelbayerische Zeitung: Irrwitzige Forderungen
Die CSU macht im Wahlkampf kurzsichtig Front gegen Leistungen, die EU-Bürgern zustehen. Leitartikel von Reinhard Zweigler
Regensburg (ots)
Nun also sind die ausländischen Spargelstecher dran, die für das Kindergeld ihrer Sprösslinge zuhause den deutschen Sozialstaat um eine Milliarde Euro schröpfen. So zumindest die vom Europawahlkampf getrübte Sicht von CSU-Granden. Dieses Draufhauen auf vermeintliche Sozialschmarotzer hat Methode und Vorläufer. Als die CSU Anfang des Jahres unter dem Motto "Wer betrügt, fliegt" gegen das kriminelle Erschleichen von Sozialleistungen durch EU-Ausländer in Deutschland Front machte, schlugen die Wellen hoch. Vor allem Menschen aus Rumänien und Bulgarien würden den deutschen Sozialstaat ausnehmen wie eine Weihnachtsgans, wurde kolportiert. Die Christsozialen hofften vor der Kommunalwahl auf Zuspruch, nicht nur von vielen Stammtischen. Links von der CSU sorgte die aus München forcierte Kampagne allerdings für ebenfalls wütende Gegenwehr. "Politisch korrekt" wurde jedweder Missbrauch von Sozialleistungen, Hartz IV, Kinder- oder Wohngeld etwa, kategorisch ausgeschlossen. Auch eine solche Sicht kann einseitig sein und an der vertrackten Wirklichkeit vorbeigehen. Inzwischen ist das Thema zum Glück versachlicht worden. Die Aufregung hat sich gelegt, auch weil die nüchternen Zahlen sagen, dass die in Deutschland lebenden Bulgaren und Rumänen im Schnitt nicht mehr Sozialleistungen in Anspruch nehmen als andere EU-Ausländer auch. Gegen offenkundigen Missbrauch, den es offenbar auch gibt und der einigen Städten auf die Füße fällt, muss freilich vorgegangen werden. Nun aber rücken die Saisonarbeiter, etwa Spargelstecher, Erdbeer- und Äpfelpflücker in den Fokus, ohne die in Deutschland kaum das zarte Edelgemüse oder einheimisches Obst geerntet werden würde. Deutsche Spargelstecher gibt es so gut wie keine. Zu anstrengend, zu rückenschädigend und zu wenig bezahlt der Job unter freiem Himmel. Der einstige SPD-Arbeitsminister Franz Müntefering wollte seinerzeit Hartz-IV-Bezieher auf die Felder schicken. Daraus wurde bekanntlich nichts. Freilich sind die CSU-Wahlkampfstrategen nun sogleich auf den Zug wider die Kindergeld-beziehenden Saisonarbeiter aufgesprungen. Generalsekretär Andreas Scheuer vorneweg. Er will den Bezug von deutschem Kindergeld für Saisonarbeiter-Kinder in Polen, Bulgarien oder Rumänien ganz streichen. CSU-Landesgruppenchefin Gerda Hasselfeldt formuliert es etwas eleganter: Dieses Kindergeld solle vom Wohnort der Kinder und den dortigen Lebenshaltungskosten abhängig gemacht werden. Dass solche Forderungen irrwitzig sind und obendrein einen Riesenaufwand an Verwaltung benötigten, ficht die CSU nicht an. Was man in München total vergessen hat, ist, dass es sich erstens bei dem Kindergeldbezug für uneingeschränkt steuerpflichtige Saisonkräfte aus EU-Staaten um geltendes Recht handelt. Untermauert durch einen Spruch des Europäischen Gerichtshofes von 2012. Und dieses Recht wird nun von immer mehr Saisonarbeitern eingefordert. Und zweitens wird hierbei mit lediglich geschätzten(!) Zahlen jongliert. Schon vor zwei Jahren wurden jährliche Kosten von etwa 200 Millionen Euro angegeben. Von 2008 bis 2011 sollen weitere 400 Millionen Euro an Mehrkosten entstanden sein, sagt das Finanzministerium. An in Deutschland lebende Familien mit Kindern werden jährlich mehr als 38 Milliarden Euro an Kindergeld gezahlt. Wetten, dass sich die künstliche Aufregung um das Thema nach der Europawahl legen wird?
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