Mittelbayerische Zeitung: Es geht um Europa - Hinter Camerons Attacken auf Juncker steckt mehr als billige Polemik. Die EU sollte dem Briten zuhören. Von Jochen Wittmann
Regensburg (ots)
David Cameron wendet sich direkt an die Bürger Europas. In einem Gastbeitrag für eine Reihe von europäischen Zeitungen - in Deutschland ist es die "Süddeutsche" - spricht sich der britische Premierminister gegen Jean-Claude Juncker als nächsten EU-Kommissionspräsidenten aus, schimpft gegen eine "Machtanmaßung durch die Hintertür" seitens des Europaparlaments und wirbt für sein europäisches Reformprojekt. In seiner Ablehnung von Juncker geht es Cameron weniger um eine Attacke auf den ehemaligen luxemburgischen Premier, den er einen "erfahrenen europäischen Politiker" nennt, als vielmehr ums Prinzip. Er hält den Prozess, nach dem der Spitzenkandidat der stärksten Fraktion des Europaparlaments automatisch zum Kommissionspräsidenten werden soll, für undemokratisch. Europa-Abgeordnete hätten vor der Wahl "einen neuen Prozess erfunden, nach dem sie zugleich einen Kandidaten aussuchen und erwählen", dies stände aber in direktem Gegensatz zu geltendem Recht. Tatsächlich liegt das Vorschlagsrecht für den Posten des Kommissionspräsidenten nach Artikel 17 des Lissabon-Vertrages allein beim Europäischen Rat. Die Regierungschefs müssen dabei das Ergebnis der Europawahlen "berücksichtigen", aber nicht unbedingt befolgen, und das Europaparlament darf dann über ihn abstimmen. Bei den Europawahlen sei, so Cameron, die Fiktion aufgebaut worden, dass der Bürger mit der Wahl des siegreichen Spitzenkandidaten zugleich den neuen Kommissionspräsidenten bestimmen würde. "Dieses Konzept", schreibt der britische Premier, "ist niemals vom Europäischen Rat beschlossen und niemals von nationalen Parlamenten ratifiziert worden." Und: "Die Bürger, die zur Wahl gingen, wollten ihren Europaabgeordneten wählen, nicht den Kommissionspräsidenten. Juncker kandidierte nirgendwo und wurde von niemandem gewählt". Ein gefährlicher Präzedenzfall würde geschaffen, nähme man das Vorschlagsrecht dem Rat weg und überließe es ausschließlich dem Parlament. Man würde den Talent-Pool beschränken: Niemals mehr könne ein amtierender Regierungschef als Kandidat für den Top-Job in Frage kommen, sondern nur noch EU-Abgeordnete. Es würde die Kommission politisieren, die doch gerade politisch neutral sein müsse. Und vor allem ärgert Cameron dabei eines: Es würde grünes Licht für diejenigen geben, die die EU-Regeln durch die Hintertür brechen wollen. Schließlich seien diese Regeln "von unseren nationalen Parlamenten ratifiziert und in internationalem Recht verankert worden." Wo er Recht hat, hat er Recht. Ein Abtritt des Vorschlagsrechts wäre demokratisch nicht legitimiert. War nicht gerade eine Erkenntnis aus den Europawahlen gewesen, dass dem Wähler das Demokratiedefizit in der EU nicht gefällt? Und es wäre zu kurz gegriffen, Cameron hier eine europafeindliche Attacke zu unterstellen, nur von innenpolitischem Kalkül geleitet. Zwar ist Letzteres auch mit dabei: Mit einem weiter-so-Kandidaten, der Juncker nunmal in Camerons Augen ist, ließen sich eben nicht die nötigen Reformen in der EU durchsetzen, die Cameron braucht, um seine Landsleute davon überzeugen zu können, bei dem für 2017 angesetzten Referendum für einen Verbleib zu stimmen. Aber letzten Endes geht es dem Premier um Europa, und man sollte dem Premier zumindest zuhören, wenn er sagt, dass er "im europäischen Interesse" kämpfe. Er verlangt Reformen bei Wachstum, Jobs und Subsidiarität. Er möchte eine Kommission, die stark und motiviert genug ist, diese anzuschieben. Er will, dass es jetzt eine europaweite Debatte darüber gibt, wie man den Wohlstand auf Dauer erhalten kann. Das kann doch so schlecht nicht sein.
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