Mittelbayerische Zeitung: Schäuble setzt auf das Prinzip Hoffnung
Der schwarz-rote Haushalt ist mutlos: Die Regierung packt keine Reformen an, sondern das Füllhorn aus. Leitartikel von Reinhard Zweigler
Regensburg (ots)
Hans Eichel hatte in seiner Zeit als Bundeskassenwart eine Reihe von Sparschweinen auf seinem Schreibtisch stehen. Doch der "Hans im Glück" hatte seinerzeit Pech. Die geplatzte Blase des Neuen Marktes verhinderte einen ausgeglichenen Haushalt, den der SPD-Mann damals für 2006 anpeilte. Peer Steinbrück war noch schlimmer dran. Die katastrophale Finanzkrise 2008/09 verhagelte jeden Gedanken an einen soliden Haushalt. Im Gegenteil. Der SPD-Finanzminister musste, den Abgrund vor Augen, tief in den Ausgabentopf greifen, um zumindest die schlimmsten Folgen der Krise abzumildern. Das ist Deutschland auch gelungen. Viel besser als anderen Staaten in der EU und weltweit. Allerdings trägt das Land seither mit am Rucksack der Euro-Rettung, für die der Staat mit zig Milliarden bürgt und mehrere Milliarden schon bereitgestellt hat. Es regiert das Prinzip Hoffnung, dass wir niemals in die Verlegenheit kommen werden, die Milliarden-Bürgschaften auch wirklich einlösen zu müssen. Auf das Prinzip Hoffnung setzt der aktuelle Bundeskassenwart Wolfgang Schäuble auch beim jetzt "nachgereichten" Haushalt für das laufende Jahr. Weil sich die Koalitionsverhandlungen über mehr als ein Vierteljahr hinzogen, kann sich der Bundestag erst in dieser Woche abschließend mit dem Etat befassen. Das ist reichlich spät, aber nicht zu spät. Bislang galt die vorläufige Haushaltsführung, die laufende Projekte finanzieren ließ, nur leider keine neuen Investitionen ermöglichte. Diese Bremse wird spätestens am Freitag gelöst, wenn der Bundestag den Haushalt beschließt. Gestern gab es viel Eigenlob von Schäuble, anderen Unionspolitikern und SPD-Kollegen für den Etat mit knapp 300 Milliarden Euro Ausgaben, aber eben immer noch 6,5 Milliarden Euro Neuverschuldung. Die Schwarz-Roten feierten Deutschland als Stabilitätsanker und Wachstumsmotor. Geschenkt. Bei Lichte besehen ist der jetzige Haushalt keineswegs couragiert. Er ist nicht ambitioniert. Mutig einsparen geht anders. Obendrein griff man in letzter Minute zu einigen Tricks, um die Neuverschuldung nicht noch weiter ansteigen zu lassen. Nach einem Gerichtsurteil etwa soll die Brennelementesteuer von rund drei Milliarden Euro im Jahr, die AKW-Betreiber zu entrichten haben, nicht verfassungskonform sein. Rechtlich ist nach dem Urteil des Finanzgerichts Hamburg das letzte Wort zwar noch nicht gesprochen, doch so oder so fehlen Schäuble erst einmal die drei Milliarden. Äußerst kreativ, man muss schon sagen ungeniert, haben die Koalitionäre daraufhin die eigene Steuerschätzung vom Mai nach oben korrigiert. Die Hoffnung, der Fiskus werde schon mehr einnehmen, als eigentlich erwartet, wurde zur Basis des neuen Haushalts gemacht. Zudem wurde an einigen Posten, etwa bei der Bundesagentur für Arbeit oder dem Zuschuss für die Krankenkassen abgeknapst. Auf gut Deutsch nennt man so etwas "Flickwerk". Auf der anderen Seite öffnet die Koalition an anderer Stelle das Füllhorn. Bei der Mütterrente griff man ebenfalls zu einem Trick und bürdet die Lasten nicht etwa allen Steuerzahlern auf, wie es sinnvoll gewesen wäre, sondern greift tief in die Rentenkasse, die nur die Beitragszahler füllen. Studenten dagegen, die sehnsüchtig auf ein höheres Bafög warten, werden auf das Jahr 2015 vertröstet. Und auf die Abmilderung der kalten Steuerprogression wartet man vergebens. Wirkliche Strukturreformen packt Schwarz-Rot nicht an.
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