Mittelbayerische Zeitung: Gustav und Gasthof
Im Jahre 25 der Einheit ist nicht einzusehen, dass Förderung sich stur an der Himmelsrichtung orientieren soll. Leitartikel von Reinhard Zweigler
Regensburg (ots)
Am Anfang der Einheit stand vor fast einem Vierteljahrhundert das Versprechen von Helmut Kohl, man könne die Kosten des Aufbaus Ost sozusagen aus der Portokasse finanzieren. Steuererhöhungen seien nicht nötig. Doch sehr bald wurde klar, dass der Umbau der weitgehend maroden DDR-Wirtschaft, der Aufbau eines soliden Renten- und Sozialsystems, einer modernen Infrastruktur, ansehnlicher Städte und Dörfer, saubere Luft und sauberes Wasser nicht mit den Geldern für Briefmarken zu machen sein würde. Flugs erfand der damalige Kassenwart Theo Waigel den Solidaritätszuschlag, der im engen Sinne keine Steuererhöhung sei, sondern nur eine Ergänzungsabgabe zur Einkommen-, Kapitalertrag- und Körperschaftsteuer. Abseits der Wortakrobatik wird der "Soli" seither in Ost und West gezahlt. Und er hat bis zum Ende des Jahres 255 Milliarden Euro in die Kasse des Bundes gespült. Dabei hat der Soli-Zuschlag mit der innerstaatlichen Solidarität etwa so viel zu tun wie Gustav mit Gasthof. Er ist zu einer sprudelnden Einnahmequelle des Bundes geworden. Die Ausgaben für den Solidarpakt Ost liegen inzwischen weit unterhalb der Soli-Einnahmen. Kein Wunder, dass klamme Länder auch ein Stück vom Milliarden-Aufkommen des Soli abhaben möchten. Noch dazu, wo es auch im Westen, Norden und Süden Deutschlands löchrige Straßen, rostige Brücken und arme Kommunen gibt. Im Jahre 25 der deutschen Einheit ist wirklich nicht mehr einzusehen, dass staatliche Förderung sich stur an der Himmelsrichtung orientieren soll. Das viel wichtigere Kriterium ist die wirkliche Bedürftigkeit. In den neuen Bundesländern ist Enormes geschaffen worden. Dank deutsch-deutscher Solidarität. Inzwischen ist die Infrastruktur im Osten zum Teil moderner und leistungsfähiger als in vielen westdeutschen Ländern, die in dieser Beziehung wirklich "alt" aussehen. Allerdings muss nun wieder eine gesunde Balance zwischen dem Aufbau Ost, der zum großen Teil verwirklicht ist, und der Sanierung und Modernisierung West hergestellt werden. Die nüchternen Zahlen der Investitionsquote der öffentlichen Hand zeigen, dass die alten Länder in den vergangenen zwei Jahrzehnten dramatisch von der Substanz gezehrt haben. Doch das kann auf Dauer nicht gutgehen, wenn Deutschland weiterhin Wachstum und Wohlstand erreichen will. Kräftiges Umsteuern ist angesagt - und dies über die kurzatmige Soli-Debatte hinaus. Die Gefechtslage zur Zukunft des Soli, zur Neuordnung der Bund-Länderfinanzbeziehungen überhaupt, ist allerdings sehr unübersichtlich. SPD- und Grün-regierte Länder würden den Soli gern in die Einkommensteuer switchen, um so mitzuprofitieren. Der Haken an der Sache ist, dass sich der Bund ungern etwas abluchsen lässt, ohne dafür eine Gegenleistung zu bekommen. Schäuble verweist obendrein auf andere Zuschüsse, etwa in die Rentenkasse Ost, die sich ebenfalls auf mehrere Milliarden Euro beläuft. Oder auch auf zusätzliche milliardenschwere Ausgaben für die Grundsicherung, mit denen er die Kommunen entlastet und anderes mehr. Vor diesem Hintergrund kann Schäuble relativ gelassen zuschauen, wie sich die Länder gegenseitig behaken. Eine einheitliche Linie ist nicht auszumachen. Während die rot-grün-regierten Länder flugs den in die Einkommensteuer übertragenen Soli, also einen Zuschlag unter neuem Eitikett, verlangen, fürchten "Zahlerländer" in den Länderfinanzausgleich wie Bayern einen erheblichen Teil ihrer Mehreinnahmen wieder abgeben zu müssen. Doch das verkehrt die Idee des Föderalismus in Gleichmacherei um. So oder so ist eine rasche Verständigung zum vertrackten Soli nicht in Sicht.
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