Mittelbayerische Zeitung: Putin testet den Westen
Es gibt gute Gründe, dass die USA Waffen an Kiew liefern. Dies nicht zu tun, könnte ein fataler Fehler sein. Leitartikel von Thomas Spang
Regensburg (ots)
Im Konflikt um den Osten der Ukraine gibt es nur auf dem Verhandlungsweg eine nachhaltige Lösung. Deshalb hat die deutsche Bundesregierung gut daran getan, trotz der verhängten Sanktionen weiter das Gespräch mit Russland zu suchen. Leider mit bisher wenig Erfolg. Das im September vergangenen Jahres erzielte Abkommen von Minsk ist heute nicht viel mehr als Makulatur. Seitdem eroberten die pro-russischen Separatisten rund 500 Quadratkilometer an ukrainischem Staatsgebiet hinzu. Die jüngste Offensive verhöhnt nicht nur das Bemühen, einen friedlichen Ausgleich zu finden. Darüber hinaus wird sie aktiv von Moskau vorangetrieben. Die eingesetzten russischen Kampfpanzer und Mannschafts-Transporter, Artillerie und Raketenwerfer finden sich nicht zufällig im Arsenal Separatisten wieder. Sie kamen samt dazugehörigem Personal direkt über die Grenze. Nach Erkenntnissen der Nato unterstützen mindestens eintausend russische Soldaten und Geheimdienstler die Offensive. Siebzig Jahre nach Ende des zweiten Weltkriegs bricht Russland damit ein Tabu in Europa, das die Änderung von Staatsgrenzen mit Gewalt von außen nicht erlaubt. Allen voran haben die Nato-Partner im Baltikum und Polen Anlass, besorgt zu sein, dass dieses Beispiel Schule macht. Ihre Bedenken sollten gerade in Deutschland verstanden werden, dessen Sicherheit bis zum Fall der Mauer auf einer glaubwürdigen Verteidigung basierte. Die zugespitzte Situation in der Ukraine verlangt, einen neuen Blick auf die bisherige Reaktion des Westens auf die eklatante Verletzung der Souveränität eines Staates in Europa zu werfen. Genau das tat eine hochkarätige Expertengruppe in Washington, die am Montag ein Positionspapier vorlegte, das ausdrücklich die Lieferung dringend benötigter Defensivwaffen an die Ukraine empfiehlt. Die überparteiliche Gruppe, zu der auch Hillary Clintons Sicherheitsberaterin Michele Flournoy und Barack Obamas ehemaliger Nato-Botschafter Ivo Daalder gehören, beziffert den Bedarf an Militärhilfe auf jeweils eine Milliarde Dollar über die nächsten drei Jahre. Und sagt genau, was benötigt wird. So verfügt Kiew weder über genügend panzerbrechende Waffen, noch über genügend Mannschaftstransporter und erst recht keine Drohnen oder andere militärische Aufklärung. Hinter der Empfehlung, diese Waffen zu liefern, steht die Erkenntnis, dass weder Sanktionen noch Verhandlungswille die Zyniker im Kreml von ihrem gefährlichen Kurs abgebracht haben. Tatsächlich gab Putin grünes Licht für die jüngste Offensive nach dem Einbruch des Euro und Prognosen, die eine schmerzliche Rezession in Russland voraussagen. Solange das Risiko für Russland bei einer direkten Beteiligung an den Kämpfen in der Ukraine nicht steigt, gibt es für Putin wenig Anlass, sein Verhalten zu ändern. Vermutlich bleibt das der einzige Weg, ihn an einem offenen Einmarsch in dem Nachbarland zu hindern. Die Lieferung von Abwehrwaffen an Kiew kategorisch auszuschließen, könnte sich als tragische Fehlkalkulation erweisen. Die bisher überlassenen Nachtsichtgeräte und schusssicheren Westen reichen jedenfalls nicht, der Ukraine zu helfen, die Integrität ihres Staatsgebiets zu bewahren. Genau darum geht es bei dem Konflikt, in dem Putin testet, wie weit er mit seiner neo-völkischen Sammlungspolitik gehen kann. Erlaubt ihm der Westen dort, neue Regeln aufzustellen, wird er es auch andernorts versuchen. Mit dem Herannahen des Frühjahrs droht eine weitere Eskalation des Konflikts. Umso dringender sollte deshalb geprüft werden, ob andere Schritte nötig sind, Moskau zu echten Verhandlungen zu bewegen. Die Lieferung von Defensivwaffen dürfte mehr dazu beitragen als der Versuch den Autokraten im Kreml zu besänftigen.
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