Mittelbayerische Zeitung: Europa ist nicht der Euro
Die Gewalt in Frankfurt ist nicht entschuldbar, aber der Protest weist auf ein massives Missverhältnis hin. Leitartikel von Christian Kucznierz
Regensburg (ots)
Vorneweg: Es gibt nichts, was das Vorgehen der Randalierer in Frankfurt rechtfertigt. Brennende Autos und Barrikaden, Sachbeschädigungen, Angriffe auf Polizisten, die Behinderung von Löscharbeiten sind das Ende der Protestkultur, nicht eine weitere Eskalationsstufe. Zumal solche Aktionen diejenigen in Misskredit bringen, die ihre ernst gemeinten Bedenken äußern möchten. Denn es gibt Gründe, warum man die Europäische Zentralbank kritisieren könnte. Oder die EU generell. Weil die Verantwortlichen derzeit vergessen klar zu machen, dass sich Europa nicht auf den Euro reduzieren lassen darf. Ja: Die Gemeinschaftswährung ist das Mittel, mit dem die Europäische Union zu einem gemeinsamen Wirtschaftsraum wurde, was der utopischen Idee der Vereinigten Staaten von Europa am nächsten kommt. Daher ist die Panik verständlich, die Teile der EU-Politik erfasst, wenn die Zukunft der Währungsunion und damit möglicherweise die Zukunft der EU als Ganzes infrage gestellt wird. Das Festhalten an Griechenland ist Ausdruck dessen. Doch geht es in dieser Debatte zu sehr um das Geld, das nach Athen geflossen ist, und die Schulden, die nie zurückgezahlt werden, sollte das Land aus dem Euro ausscheiden. Europa ist nicht nur Finanzpolitik. Der Euro ist das Vehikel zur Gemeinschaft, nicht die Gemeinschaft selbst. Genau hier liegt das Problem: Europa definiert sich derzeit gar nicht. Die Hauptstädte haben Macht aus Brüssel zurückgeholt. Gemeinsam tritt man so gut wie gar nicht mehr auf, außer in kleinen Verbänden, wie das Duo Merkel/Hollande in der Ukraine-Krise deutlich machte. Wenn eine europäische Institution nach außen auftrat, dann war es diejenige, die nicht demokratisch legitimiert, aber mit der Macht über Leben und Tod der Staaten ausgestattet ist: die EZB. Natürlich handelt sie prinzipiell zum Wohl der Menschen, wie ihr Chef Mario Draghi angesichts der gewaltsamen Proteste vor seiner Haustüre gestern klarstellte. Aber die EZB ist im Moment vor allem eine Bank, die Banken hilft, ihre Schulden zurückzuzahlen. Die Befürchtung, dass Geldpolitik alleine keine dauerhafte Lösung bietet, ist angesichts anhaltender Krisen in der Eurozone nicht ganz von der Hand zu weisen. Den Leidtragenden hilft vermeintlich niemand, während die Zentralbank einen Milliardenschweren Neubau einweiht: Das macht die EZB zum idealen Ziel für Protest gegen eine scheinbar verfehlte Politik. Allerdings vergisst, wer so argumentiert auch, dass ohne das Eingreifen der EZB viele Krisenstaaten längst pleite wären. Europa hat sich entschieden, einen gemeinsamen Weg zu gehen. Diese Entscheidung war und ist angesichts einer globalisierten Welt richtig. Aber die Mechanismen des Zusammenlebens und des Zusammenwachsens - und damit die der Problemlösung - gehören regelmäßig hinterfragt. Nur weil Irland seine Krise dank drastischer Spar- und Reformkur überlebt hat, heißt das nicht, dass dieses Rezept für den griechischen Patienten passt. Der müsste zuerst entgiftet werden. Auf welchem Weg auch immer. Es stimmt: Das vereinte Europa kommt derzeit meist als Krise daher. Es hat diese Krise selbst mit herbeigeführt. Richtig ist aber auch, dass gerade im Fall Griechenland das Land seine Probleme nicht selbst lösen will, auch nicht, nachdem es den alten Weg der Krisenbekämpfung abgewählt hat. Europa steht an einem Scheideweg. Es muss die Deutungshoheit über sich wiedergewinnen und sie nicht den Banken überlassen, nicht den Populisten und auch nicht der Straße. Mit dem Finger auf Athen zu deuten, ist genauso falsch, wie Deutschland den ausgestreckten Finger zu zeigen - oder wie Steine auf die EZB zu werfen: Es hilft niemandem.
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