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Mittelbayerische Zeitung: Leitartikel von Christine Straßer zur Germanwings-Katastrophe

Regensburg (ots)

Das Rätselraten um die Ursache für den Absturz der Germanwings-Maschine hat ein Ende. Doch mit so einer Antwort hat niemand gerechnet: Die Ermittler gehen nach der Auswertung der Stimmaufzeichnungen davon aus, dass der Copilot das Flugzeug absichtlich abstürzen ließ. Der menschliche Verstand wehrt sich dagegen, sich so ein Szenario auszumalen. Denn eigentlich ist es das unvorstellbarste Szenario überhaupt. Nach der schrecklichen Nachricht über den Absturz und den Tod von 150 Menschen am Dienstag bewirkt dieses Ermittlungsergebnis daher einen zweiten Schock. Die schreckliche Erkenntnis: Es war kein technischer Defekt. Es war kein Pilotenfehler. Es war allen aktuellen Erkenntnissen zufolge auch kein Terroranschlag. Ohne erkennbares Motiv hat der Copilot die Germanwings-Maschine offenkundig vorsätzlich gegen einen Berg gelenkt. Dem französischen Staatsanwalt Brice Robin ist anzumerken, wie fassungslos er über das ist, was er verkünden muss. Er ringt um Worte, eigentlich gibt es keine. Insofern will Robin nicht von Suizid sprechen. Zu gewaltig ist das Geschehene. Lufthansa-Chef Carsten Spohr sagt, dass er sich so eine Tragödie auch in seinen "schlimmsten Alpträumen" nicht hätte vorstellen können. Eine Folge dieser Katastrophe wird sein, dass der Unsicherheitsfaktor Mensch unter die Lupe genommen wird. Es wird darüber diskutiert werden, ob künftig immer zwei Personen im Cockpit sein müssen. Beispielsweise in den USA ist das schon jetzt so. Dort sehen die Regularien vor, dass ein Flugbegleiter ins Cockpit geht, wenn der Pilot oder der Copilot es verlassen müssen. So soll vermieden werden, dass eine Person allein im Cockpit ist und dort bewusst - oder unbewusst, etwa wegen eines medizinischen Notfalls - das Flugzeug in Gefahr bringt. Die quälende Frage bleibt allerdings die nach dem Motiv. Um diese Frage zu beantworten, wird das Leben des jungen Copiloten durchleuchtet. So verständlich der Wunsch nach einer Erklärung für den Absturz ist, so sehr sollte man sich andererseits eingestehen, dass es wahrscheinlich nie eine Antwort auf diese Frage geben wird. Zumindest keine befriedigende. Keine, die Trost spendet. Was wirklich im Kopf des Copiloten vorging, werden wir nicht mehr erfahren. Zurückhaltung wäre angebracht. Allein schon, weil Spekulationen über die Gründe des Copiloten nicht das sind, was den Hinterbliebenen der Opfer Halt gibt. Jeder, der bereits einmal einen nahen Angehörigen bei einem Unfall verloren hat, weiß das. Die Welt steht dann plötzlich still. Es ist ein Gefühl, eingeschlossen zu sein in der eigenen Trauer. In so einer Situation hilft es, Menschen um sich zu haben, die einfach da sind, die zuhören, ohne große Worte - auch und erst recht, wenn die öffentlichen Beileidsbekundungen und die Beerdigungen längst vorbei sind. Aufgeregtes Geplapper, ungesicherte Informationen helfen indes nicht weiter. Davon abgesehen: Auch die Angehörigen des Copiloten sind sicher vom Schock wie gelähmt. Dass uns der Absturz von Flug 4U9525 so umtreibt, liegt neben dem Mitgefühl mit den Familien der Toten auch daran, dass er den Glauben an Sicherheit ins Wanken bringt. In kaum einem anderen Lebensbereich werden so viele Sicherheitsvorkehrungen getroffen wie in der Luftfahrtbranche. Der Vertrauensvorschuss in diesem Bereich ist folglich groß. Am Ende dieser Kette steht der Pilot. Er verkörpert Vertrauen, in seine Hände legen wir unser Leben. Doch nun ist offenkundig ausgerechnet der Copilot der Täter. Kann man sich davor schützen? Wohl niemals völlig. Denn wir können nicht bis in den letzten Winkel in einen Menschen hineinschauen.

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