Mittelbayerische Zeitung: Testfall Tröglitz
Der Fall der Gemeinde in Sachsen-Anhalt ist zu einer Herausforderung für ganz Deutschland geworden. Leitartikel von Reinhard Zweigler
Regensburg (ots)
Das Dorf Tröglitz im landschaftlich schönen Burgenlandkreis im Süden Sachsen-Anhalts ist aufgestiegen in die unrühmliche Reihung von deutschen Orten, die seit der deutschen Einheit für Fälle von Ausländerhass und Fremdenfeindlichkeit stehen. Wie Hoyerswerda oder Rostock-Lichtenhagen etwa, wo kurz nach der Wiedervereinigung ein gewalttätiger Mob Ausländerheime angriff und die seit Jahren dort lebenden Vietnamesen zwang, anderswo Zuflucht zu suchen. Aber auch Schwandorf, Mölln und Solingen, wo insgesamt zwölf Menschen in den Flammen umkamen, die von Neonazis gelegt worden waren. Es gab machtvolle Demonstrationen gegen diese Gewalt. Die Politik zeigte Mitleid und Empörung - und im Bundestag wurde das Asylrecht verschärft. Wenn es eine Lehre aus den Anschlägen Anfang der 90er Jahre gibt, dann die, dass der Staat nie vor dem aufgeputschten Mob auf der Straße kapitulieren darf. Tröglitz ähnelt zwar den Fällen von damals, zugleich aber ist hier vieles anders. Ausländerfeindlichkeit ist im Schnitt seit Anfang der 90er Jahre von etwa 25 auf sieben Prozent gesunken. Eins muss aber zu denken geben: dass ausgerechnet in Bayern die Zustimmung zu fremdenfeindlichen Gedanken besonders hoch ist. Immerhin: Die rechtsextreme NPD, die in Tröglitz Demonstrationen gegen die Asylunterkunft anzettelte, befindet sich im Abschwung. Im Herbst flog sie aus dem Landtag von Sachsen, vielleicht auch wegen der AfD, die offiziell nichts mit Fremdenfeindlichkeit zu tun haben will. Und seit Pegida und Co. hat die NPD nicht einmal mehr die Straßen für sich. Um so wütender gehen einzelne NPD-Aktivisten nun gegen die vorgebliche Bedrohung durch Flüchtlinge vor. Die rechtsextreme Partei hat zudem das drohende Aus durch das Bundesverfassungsgericht vor Augen. Freilich würde selbst ein gerichtliches Verbot kaum etwas am Problem des dennoch wabernden Fremdenhasses ändernden. Längst ist die rechtsextreme Szene dabei, sich umzuorganisieren. Die Partei Die Rechte etwa hat den Einzug in Stadträte in Nordrhein-Westfalen geschafft. Auch innerhalb der vielschichtigen Pegida sind Rechtsextreme aktiv. Und die AfD verhält sich zumindest ambivalent gegenüber Demokratie-Feinden. Was Tröglitz jetzt zu einem Sonderfall macht, ist die Tatsache, dass der demokratische Staat offen herausgefordert wird. Dabei haben die aggressiven Gegner der Flüchtlingsunterkunft bereits mehrfach rote Linien überschritten. Erstens, als sie den Ortsbürgermeister und seine Familie persönlich attackierten. Zweitens, indem dem Landrat mit Mord gedroht wurde und drittens, als schließlich Brandsätze flogen. Dieser Herausforderung muss sich der Staat - der Burgenlandkreis, Sachsen-Anhalt, aber auch der Bund - jetzt stellen. Die Konsequenz darf keinesfalls sein, völlig auf die Unterbringung von Flüchtlingen in Tröglitz zu verzichten. Das würde die Rechtsextremen und ihre heimlich-unheimlichen Sympathisanten nur noch ermutigen. Andererseits muss jedoch auch die Sicherheit der Neuankömmlinge gewährleistet werden. Eine knifflige Aufgabe, die freilich nicht mit den bekannten Betroffenheitsritualen gemeistert ist. Tröglitz braucht zunächst sichtbare staatliche und Polizeipräsenz, Hilfe bei der Unterbringung, vor allem aber viel mehr und langfristige Unterstützung für die demokratische, mitfühlende, aktive Zivilgesellschaft vor Ort. Dem Ausländerhass muss der Boden entzogen werden. In Tröglitz und anderswo.
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