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Mittelbayerische Zeitung: Leitartikel zum Lokführerstreik: Folgenreiche Machtprobe von Reinhard Zweigler

Regensburg (ots)

GDL-Streik, neunter Aufzug. Es herrscht auf vielen Bahnhöfen wieder aufgeregter Stillstand, vor allem der Frust von Fernreisenden, Pendlern und Menschen, die eigentlich mit der S-Bahn zur Arbeit fahren wollten. Der nunmehr neunte Streikaufguss der Gewerkschaft der Deutschen Lokomotivführer zerrt nicht nur wieder an den Nerven und zwingt zur Improvisation - ausgerechnet, wenn man über Pfingsten eigentlich mit der Bahn verreisen wollte. Doch mit dem neuerlichen Arbeitskampf verspielt die Spartengewerkschaft auch die letzten Sympathien von Bahnkunden. Da mag der offenbar unbeirrbare GDL-Chef Claus Weselsky noch so oft erklären, dass auch dieser Streik rechtmäßig und verhältnismäßig sei. Er ist in Wirklichkeit völlig überflüssig und zudem maßlos überzogen. Wenn Weselsky wirklich eine Lösung wollte, hätte er längst einer Schlichtung zustimmen können. Weselsky treibt seine Mitglieder dagegen in eine fundamentale Machtprobe, die nur Verlierer hinterlassen wird: verärgerte Bahnfahrer, Unternehmen und Deutsche Bahn sowieso, aber auch seiner Gewerkschaft erweist der Sachse mit seiner Alles-oder-Nichts-Strategie einen Bärendienst. In einem Land, das über eine weitgehend funktionierende Tarifpartnerschaft verfügt, erfindet Weselsky beinahe den Klassenkampf neu: die da oben im Bahnvorstand oder wir hier unten in den Führerständen der Lokomotiven. Anders als sein Vorgänger an der GDL-Spitze Manfred Schell, der in Tarifverhandlungen auch ein harter Hund sein konnte und Streiks führte, scheint Weselsky das Prinzip des Kompromisses, der irgendwann gefunden werden muss, ein Fremdwort. Dabei geht es im jetzigen Tarifkampf der GDL längst nicht mehr um mehr Geld, weniger Arbeitszeit und vernünftigere Schichtpläne für Lokführer, sondern vor allem darum, Macht und Einfluss nicht zu verlieren. Weselsky und der ihm bedingungslos folgende GDL-Vorstand bestehen darauf, auch für die bei ihnen organisierten Rangierlokführer oder Zugbegleiter einen eigenen Tarifvertrag abzuschließen. Und zwar einen besseren als jenen, den die größere Eisenbahn-Verkehrsgesellschaft (EVG) demnächst mit der Bahn abschließt. Statt mit der EVG eine Tarifgemeinschaft zu bilden, die unter dem Strich mehr für die Bahnbeschäftigten herausholen könnte, pocht die GDL auf absolute Eigenständigkeit. Dabei zeigen Tarifgemeinschaften in anderen Branchen, dass keine der beteiligten Arbeitnehmerorganisationen ihre Eigenständigkeit aufgeben muss. Obendrein liefert die störrische GDL nun jedoch auch der großen Koalition Argumente in die Hand, die die Tarifeinheit in einem Unternehmen per Gesetz durchsetzen wollen. Am Freitag wird der Bundestag das entsprechende Gesetz verabschieden. Darüber, ob dieses von Arbeitsministerin Andrea Nahles gepushte Gesetz verfassungskonform ist oder nicht, tobt derweil ein heftiger Streit. Unter Politikern und unter Juristen. Kommt die umstrittene gesetzliche Tarifeinheitsregel, wird sie über kurz oder lang vom Verfassungsgericht geprüft werden. Ausgang offen. Dabei lieferte nicht etwa die GDL oder die gleichfalls streikerprobte Gewerkschaft der Piloten Cockpit den Anstoß für dieses Gesetz, sondern das Bundesarbeitsgericht. Vor fünf Jahren hoben die Richter in Erfurt den bislang geltenden - und vernünftigen - Grundsatz der Tarifeinheit auf, weil der gegen das Grundrecht auf Koalitionsfreiheit verstoße. Gefrusteten Reisenden werden die juristischen Hintergründe und politischen Scharmützel indes ziemlich egal sein. Sie bleiben einfach auf der Strecke.

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