Mittelbayerische Zeitung: Teurer Kompromiss - Der neue Stromtrassen-Vorschlag wäre nur auf den ersten Blick ein Erfolg für Bayerns Bürger. Von Sebastian Heinrich
Regensburg (ots)
Es scheint ein guter Tag zu sein für die Gegner neuer Strom-Autobahnen. Keine neuen Riesen-Trassen quer durch Bayern: das ist durch den Kompromissvorschlag, den Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel am Mittwoch öffentlich machte, jetzt zumindest eine realistische Perspektive. Das ist ein Achtungserfolg für die CSU, die in Sachen Stromtrassen seit anderthalb Jahren quasi jeden Vorschlag blockiert, der Bayern merklich berühren würde. Eine Form der Radikal-Opposition innerhalb der großen Koalition, die offensichtlich funktioniert. Horst Seehofer und Konsorten haben sich als Retter vor den "Monster-Trassen" inszeniert - wohl auch, um vergessen zu machen, dass ihre Vertreter im Bundesrat selbst 2013 die Stromtrassen-Pläne durchgewinkt hatten. Mit dieser Taktik haben sie aber letztlich SPD-Vizekanzler Zugeständnisse abgetrotzt und so bayerische Interessen verteidigt. So sieht es immerhin auf den ersten Blick aus. Auf den zweiten Blick zeigt sich aber: Dieser Kompromiss käme teuer. Er ist teuer für die Menschen vor Ort, weil auch Erdkabel Belastungen mit sich bringen - ebenso wie der Ausbau bestehender Starkstrom-Leitungen zu leistungsfähigeren Trassen. Der Kompromiss ist teuer für alle deutschen Verbraucher, weil er die Kosten für den Leistungsausbau in die Höhe treiben wird - und Energie-Großverbraucher trotzdem weiter bevorzugt werden sollen. Und der Kompromiss ist politisch teuer, weil er Bayerns Ansehen im Rest Deutschlands weiter belastet. Es dürfte der Eindruck bleiben, dass der Freistaat für sein anti-solidarisches Verhalten in Sachen Energiewende prämiert wird: Ja zu den Vorteilen, nein zu den Lasten. Wie bei der bockigen Blockadehaltung gegen die Atommüll-Zwischenlagerung in Landshut, wie bei der 10-H-Regelung, die neue Windräder im Freistaat de facto unmöglich macht. Und diesmal dürfen über die Stromrechnung alle bezahlen. All diese Faktoren werden die Akzeptanz für die Energiewende in Deutschland weiter senken. Und diese Folge des Gabriel-Kompromisses könnte ganz besonders teuer werden. Die Energiewende ist die gigantische Chance für Deutschland, als erste große Industrienation wegzukommen von der Abhängigkeit von fossilen Energieträgern und ein Modell für den Rest der Welt zu werden. Doch das politische Kleinklein - für das der Stromtrassenzank beispielhaft steht - bedroht dieses historische Projekt. Natürlich: Es ist in dieser parlamentarischen Demokratie unabdingbar, dass Regierungsparteien, Bund und Länder um große Projekte und kleine Details ringen. Es ist legitim, dass eine Regionalpartei wie die CSU für regionale Interessen kämpft. Aber das große Ganze dürfen die Verantwortlichen dabei nie aus den Augen verlieren. Bei der Energiewende heißt das: Die Abkehr von Atom- und Kohlestrom ist nicht ohne Belastungen für manche Bürger möglich. Regierende und Abgeordnete haben eigentlich zwei Aufgaben: die Belastungen erstens so gering wie möglich zu halten. Und sie zweitens dort, wo sie unabdingbar sind, den Menschen zu erklären und dafür gerade zu stehen. Stattdessen verkauft gerade die CSU den Bürgern die Illusion, die Energiewende ohne Zusatzbelastung sei möglich. Die Politik hat schon bedenklich viel falsch gemacht bei der Energiewende: von der 10-H-Regelung in Bayern über den schwarz-gelben Eiertanz bei der Photovoltaik-Förderung bis zum Atomausstieg mit stümperhaftem doppeltem Rückwärtssalto. Wenn die Zeitenwende in Deutschland noch gelingen soll, muss jetzt Schluss damit sein. Jetzt sind Dialog mit den Bürgern und Solidarität bei der Lastenverteilung nötig. Darauf, dass es so kommt, besteht aber wenig Hoffnung. Auch, weil sich nun wieder einmal gezeigt hat, dass populistische Blockade und Sankt-Florians-Prinzip in Reinkultur auch zum Erfolg führen. Nein, für die Energiewende ist es kein guter Tag.
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