Mittelbayerische Zeitung: Leitartikel von Claudia Bockholt zum Auftakt der Wagner-Festspiele
Regensburg (ots)
Wo Wagner draufsteht, muss vor allem Mensch drin sein", zürnte kürzlich der designierte Chef der Berliner Philharmoniker Kirill Petrenko. Dabei ist doch schon jede Menge, vielleicht zuviel Mensch drin, wenn sich am Samstagnachmittag für Katharina Wagners Neuinszenierung von "Tristan und Isolde" der Vorhang hebt. Petrenko, der im Rennen um den begehrten Job in der Hauptstadt Christian Thielemann ausgebootet hat und 2015 letztmals den "Ring" dirigiert, kritisierte den Umgang der Festspielleitung mit ihren Künstlern scharf. Anja Kampe - angeblich die Lebensgefährtin des Münchner Generalmusikdirektors - war als "Isolde" aus ungenannten Gründen kurzfristig abgesprungen. "Siegfried" Lance Ryan starb keinen Heldentod, sondern wurde unrühmlich abgesägt. Dass Skandalnudel Jonathan Meese als Regisseur nur eine Halbwertszeit von zwei Jahren hatte: keine Überraschung. Aber auch Eva Wagner-Pasquier, noch bis September offiziell zweite Festspielleiterin, soll in Acht und Bann geschlagen sein, angeblich, um den neuen "Tristan" nicht zu gefährden. Undurchsichtig ist die Rolle, die der gefeierte Wagner-Spezialist und neu ernannte Musikdirektor Thielemann spielt. Hier wird attackiert und kolportiert, dort empört dementiert. Es menschelt arg in der Opern-Feste auf der Kuppe des Grünen Hügels. Das wird Wagner nicht im Sinn gehabt haben, als er vor fast 150 Jahren sein "dramatisches Musikfest" ins Leben rief. Wagner - das war und ist ein Wort, das starke Emotionen hervorruft. Man hasst oder man liebt. Indifferenz gegenüber der Musik ist nicht möglich, genauso wie der Mensch Richard Wagner in seiner selbstverliebten Genialität und Radikalität schon zu Lebzeiten polarisierte. Allein: Die Nachgeborenen sind eben keine Genies. Katharina Wagners Inszenierung der "Meistersinger" 2007: so lala. Auch von ihrer neuen Regiearbeit erwartet man keine Offenbarung. Vielleicht nimmt sie sich ja das Diktum ihres Urgroßvaters zu Herzen. Der schrieb nach Beendigung von "Tristan und Isolde" in der ihm eigenen Unbescheidenheit: "Nur mittelmäßige Aufführungen können mich retten! Vollständig gute müssen die Leute verrückt machen." Heute darf man lästerliche Bemerkungen über die Gralsburg Bayreuth und ihre heillos verfehdeten Bewohner machen. Kritiklose Bewunderung entspricht nicht mehr unserem demokratischen, Dank Internet äußerst meinungsfreudigen Selbstverständnis. Der Nimbus des Besonderen, Exklusiven, Elitären entschwindet in die Ferne wie Lohengrins Kahn. Für den "Ring" hätte man sogar noch im Juni eine Karte bekommen. Sind es am Ende die allzu menschlichen Reibungen und Zusammenstöße, die den Festspielen den Todesstoß versetzen? Fehlt es dem immer noch an den Hebeln sitzenden Clan an künstlerischer wie sozialer Kompetenz? Was bleibt von der Einzigartigkeit Bayreuths, wenn mittlerweile auch kleinere Häuser wie Nürnberg einen "Ring" stemmen und etwa das Theater Regensburg einen eigenen, weithin beachteten "Tristan" auf die Beine stellt? Es kann nur die Kunst selbst sein. Der Grüne Hügel muss Schutzwall einer freien, lebendigen Herangehensweise an den gleichermaßen ikonisierten wie dämonisierten Wagner sein. Das Haus muss versuchen, in jedem Jahr die besten Regisseure, Sänger und Musiker zu versammeln, frei von den üblichen personellen und ökonomischen Zwängen eines Repertoirebetriebs. Ein Selbstläufer ist Bayreuth schon jetzt nicht mehr. Wenn Familie Wagner weiter wie ein grimmiger, eifersüchtiger Drache auf dem Erbe hockt, wird dieser künstlerische Schatz auf Nimmerwiedersehen in menschgemachtem Murks versinken.
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