Mittelbayerische Zeitung: Leitartikel zu Range/Landesverrat: Verräter der Freiheit von Bernhard Fleischmann
Regensburg (ots)
Es ist nicht zu fassen: Die Ermittlungsbehörden sprechen von Landesverrat! Ein Wort, das als Waffe benutzt wird, um unliebsame Menschen mundtot zu machen und/oder lange wegzusperren. "Verräter" schreien gemeinhin zuallererst Mitglieder geschlossener Zirkel, die absolutistische Züge aufweisen. Den Vorwurf des Landesverrats umweht die unselige Tradition, sich gegen Menschen zu richten, die den Mut aufbringen, Missstände aufzudecken. Die Regime in China und Russland nutzen dieses Instrument gerne. Deutschland nun also auch nach langer Zeit einmal wieder. Glückwunsch. Damit reihen wir uns ein in eine Galerie, in die wir definitiv nicht hingehören wollen. Die Ermittlungen gegen zwei Redakteure von netzpolitik.org sind hanebüchen. Das schwant offenbar nun auch dem Generalbundesanwalt Harald Range selbst, der am Freitag - vielleicht auch wegen des gewaltigen Proteststurms - die Ermittlungen auf Eis legte. Was ist Landesverrat? Ein Blick auf die Definition: "Landesverrat begeht, wer ein Staatsgeheimnis einer fremden Macht (...) mitteilt oder (...) oder öffentlich bekanntmacht, um die Bundesrepublik Deutschland zu benachteiligen oder eine fremde Macht zu begünstigen, und dadurch die Gefahr eines schweren Nachteils für die äußere Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland herbeiführt." Was hat netzpolitik.org Geheimnisvolles veröffentlicht? Dass der Verfassungsschutz eine Abteilung aufgebaut hat, um künftig die Sozialen Netzwerke zu überwachen. Aha. Deshalb soll die Sicherheit der Bundesrepublik in Gefahr geraten? Der Vorwurf ist lächerlich. So lächerlich, dass der Vorfall sogar Bewegung in die Diskussion bringt, inwieweit Journalisten mit Veröffentlichungen überhaupt Landesverrat begehen können. Justizminister Maas deutete prompt an, dass bei diesem Thema Reformbedarf besteht. Zeit wird es. Mit den Ermittlungen hat Range höchst selbst Verrat begangen: an der Pressefreiheit, an unserem Verständnis eines offenen Umgangs mit Informationen. Er beschädigt das Bild der deutschen Geheimdienste - so weit das noch möglich ist - und das Bild Deutschlands als Land mit einer fairen Justiz. Die Ermittlungen zeigen deutlich, in welch schwacher Verfassung Range sowie Verfassungsschutz und BND sich befinden. Je angeschlagener jemand ist, umso heftiger und zielloser schlägt er um sich. Es ist niemandem plausibel zu erklären, dass das Handy der Bundeskanzlerin jahrelang und systematisch abgehört wird und diese Tat keine juristischen Folgen haben soll. Weitere Regierungsmitglieder wurden bespitzelt - keine ernsthafte Reaktion. Es liegen handfeste Indizien für Industriespionage vor, was zum Beispiel Airbus ganz offen beklagt hat. Der "Spiegel" wurde vom CIA abgehört. Das alles wusste die Bundesregierung. Sie hielt es aber nicht für angebracht, angemessen tätig zu werden. Im Gleichklang dazu verhält sich der Generalbundesanwalt. Es gab und gibt eine Vielzahl von Informationen, die darauf schließen lassen, dass Beweise für die Spitzelaktionen der NSA zu finden sein dürften. Die Medien sind voll davon. Der Generalbundesanwalt gibt in dem Komplex keine gute Figur ab. Da hilft auch der eilige Rückzieher am Freitag kaum. Die Bundesregierung hat durch die Aussagen des Justizministers klar gemacht, dass ihr bewusst wurde, was für ein Schaden dem Rechtsstaat mit dem Vorgehen gegen netzpolitik.org zugefügt würde. Das ist löblich. Skandalös aber ist, dass sie nach wie vor nicht bereit ist, gegen die echten Spione vorzugehen, die unserem Land nachhaltig und nachweislich Schaden zufügen.
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