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Mittelbayerische Zeitung: Kommentar zum Tod von Helmut Schmidt

Regensburg (ots)

von Reinhard Zweigler, MZ

Ehefrau Loki, mit der Helmut Schmidt fast 70 Jahre verheiratet war, habe den schmächtigen Jungen Helmut gegen Attacken Größerer immer in Schutz genommen. Schwer vorstellbar, dass aus dem Hamburger Jung später ein geachteter Staatsmann, ein weltläufiger Politiker, ein Kanzler mit Ecken, Kanten und Schnauze, "Schmidt Schnauze", wurde. Leicht hat er es sich und anderen nie gemacht. Schmidt, der gestern in seiner Heimatstadt Hamburg im Alter von 96 Jahren starb, zählte zu den ganz wenigen Politikern, deren Wort noch nach dem Ausscheiden aus dem Amt von Gewicht war. Er mischte sich, gefragt oder ungefragt, beherzt ein. Wer Visionen habe, solle zum Arzt gehen, war solch ein fast kraftmeierischer Satz, mit dem Schmidt immer wieder zitiert wurde. Er war ein Pragmatiker, ein Zupacker, kein Parteiideologe. Das spürten jedenfalls die Hamburger, als sich der junge Innensenator im Angesicht der furchtbaren Hochwasserkatastrophe 1962 über sämtliche Anordnungen hinwegsetzte und Bundeswehr, Polizei und Technisches Hilfswerk kommandierte. Vielen mag der einstige Wehrmachtsoffizier durch sein couragiertes Eingreifen das Leben gerettet haben. Von seinen Hamburgern wird er seither verehrt. Schmidt war vieles: hanseatisch kühl, literarisch und musikalisch aktiv, aufrecht, protestantisch - auch wenn er nach dem Holocaust und Auschwitz mit Gott haderte. Der Liebling der SPD, wie etwa der Begründer der neuen Ost-Politik Willy Brandt, war Schmidt dagegen nie. Eher als eine Art Notlösung wuchs ihm nach der Spionage-Affäre in Brandts Kanzleramt 1974 der Posten des Regierungschefs zu. Nach den Wirtschaftswunderjahren hatte der Hamburger herausfordernde Bewährungsklippen zu umschiffen. Die Ölkrise, die plötzlich galoppierend hohe Arbeitslosigkeit infolge der weltweiten Rezession. Der linksradikale Terrorismus der "Rote Armee Fraktion" (RAF) versetzte das Land in Angst und Schrecken. Als Kanzler verfolgte er eine Politik der Härte gegenüber den Entführern, was Menschenleben kostete und ihm von den Angehörigen der Opfer Kritik eintrug. Für den Fall der eigenen Entführung hatte Schmidt verfügt, dass mit den Terroristen nicht verhandelt werden solle. Regieren bedeutet für ihn auch, hohe moralische Maßstäbe an sich selbst zu richten. Auch darin mag er nachfolgende Kanzler, ob Kohl, Schröder oder Merkel, geprägt haben. Das Nordlicht Schmidt schaffte es zwei Mal, nach Bundestagswahlen gegen die eigentlich stärkere Union Regierungen, jeweils mit der FDP, zu bilden. Unvergessen der hochemotionale Wahlkampf 1980 gegen das CSU-Urgestein Franz Josef Strauß. Da prallten politisch Welten aufeinander. Menschlich waren sich beide Machtmenschen und ehemalige Weltkriegs-Offiziere vielleicht gar nicht so unähnlich. Vor dem Bruch der sozial-liberalen Koalition 1982 durch die FDP war Schmidt jedoch längst mit seiner eigenen Partei uneins. Fast trotzig vertrat er die Politik der Nato-Raketennachrüstung, um Moskau keinen atomaren Vorteil zu erlauben. Dagegen revoltierten nicht nur die meisten SPD-Genossen, sondern Hunderttausende andere besorgte Bürger landauf und landab. Vielleicht war es diese bittere, mehrfache Niederlage, die Helmut Schmidt zu seiner zweiten Karriere als Autor, Anstoßgeber, zu einer über die Parteigrenzen hinaus geachteten Persönlichkeit werden ließ. Er unterstützte Schröders Agenda 2010, als der damit die SPD zerriss und Wahlen verlor. Vor drei Jahren hob er Peer Steinbrück aufs Kanzler-Kandidatenschild der SPD. Nicht nur dabei hatte sich der Schachspieler Schmidt verkalkuliert. Dennoch, sein Wort wird fehlen in den heutigen stürmischen Zeiten.

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