Mittelbayerische Zeitung: Sklaven sind unter uns - Das Schicksal von Millionen Ausgebeuteten hängt mit unserer Lust an billigen Waren zusammen. Von Christine Strasser
Regensburg (ots)
Sklaverei hat viele Gesichter - nicht nur das der Antike oder der Baumwollfelder Amerikas, wo die Sklaverei vor 150 Jahren offiziell abgeschafft wurde. Weltweit leben heute knapp 36 Millionen Menschen unter sklavenähnlichen Bedingungen, schätzen Menschenrechtler. Ihre Ausbeutung und unsere Lust an möglichst preiswerten und billigen Waren und Dienstleistungen hängen unmittelbar miteinander zusammen. Gerade in den Tagen vor Weihnachten, wenn die Geschäfte hierzulande rappelvoll sind und massenweise Waren über den Ladentisch gehen, die zum Teil unter furchtbaren Bedingungen produziert wurden, ist es geboten, sich das bewusst zu machen. Sklave zu sein, bedeutet rechtlos zu sein. Moderne Sklaven schuften in Minen, auf Baustellen oder Feldern, pflegen Senioren und Kranke, schlachten Tiere, putzen Wohnungen oder bieten sich auf dem Strich an. Sie werden gefangen gehalten, der Macht über ihr Leben beraubt und ausgebeutet. Auch in westlichen Industriestaaten arbeiten Menschen wie Leibeigene: in der Sexindustrie als Zwangsprostituierte, in Fabriken und als Bedienstete in Privathaushalten. Kevin Bales, Professor an der britischen University of Hull und einer der führenden Experten für Sklaverei, wird nicht müde das zu betonen. Bales ist Mitglied der Walk Free Foundation, die gegen Sklaverei kämpft, und Hauptautor des Global Slavery Index, ein Bericht der seit drei Jahren veröffentlicht wird und Statistik führt über die Ausbeutung von Sklaven in den einzelnen Ländern. Auch in Deutschland leben den Experten zufolge Sklaven. 10 500 Menschen müssen demnach hierzulande unter Bedingungen leben und arbeiten, bei denen ihre Grundrechte missachtet werden. Angekettet sind diese modernen Sklaven nicht unbedingt physischer Art. Schulden, Einschüchterung, Betrug, Isolation, Angst oder eine erzwungene Heirat werden dazu benutzt, um Menschen gegen ihren Willen festzuhalten. Bestürzung über das Leid der Menschen ist das eine. Was aber kann man dagegen tun? Welche Möglichkeiten gibt es, um gegen die moderne Sklaverei anzugehen, sie vielleicht eines Tages sogar zu überwinden? Es beginnt mit Hinsehen. Aktuellen Zahlen zufolge nimmt moderne Sklaverei wieder zu. Tausende Menschen aus Bangladesch, Indien und Pakistan werden auf Baustellen in arabischen Staaten, wie etwa Katar, versklavt. In Usbekistan läuft ein Großteil der Baumwollproduktion auf dem Rücken von Sklaven, darunter viele Kinder, ab. In Großbritannien wurden Sklaven befreit, die für 200 Pfund an Farmen, Fabriken oder Bordelle verkauft wurden. Eine "Schande für Deutschland" nannte Vizekanzler Sigmar Gabriel Zustände in deutschen Fleischfabriken, in denen osteuropäische Arbeiter schlachten und zerlegen - per Werkvertrag. Sie werden offen ausgebeutet: bei Arbeitszeiten von zwölf bis 16 Stunden, kaum Pausen, verspätet gezahltem Lohn, von dem ein großer Teil zudem für Fahrten zum Betrieb und die Miete für Zimmer oder oft auch nur notdürftig umgebaute Ställe, in denen sich zwei Männer ein Bett teilen müssen, einbehalten wird. Der zweite Schritt ist das Handeln. Lücken in der Gesetzgebung müssen geschlossen werden und geltende Vorschriften eingehalten werden. Im Zweifelsfall muss es mehr Kontrollen geben. Wer einkauft, kann versuchen auf fair gehandelte Produkte zu achten. Von der Idee, in Geldnot geratene Menschen freizukaufen, sind Experten wie Professor Bales nicht begeistert. Das würde Sklavenhalter in ihrem Geschäft bestätigen. Was langfristig wirksam ist: Armut bekämpfen, Menschen Bildung geben und Rechtsstaatlichkeit durchsetzen, damit Täter bestraft werden.
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