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Mittelbayerische Zeitung: Gleicher als andere
Wieder zeigt sich: In der EU schaffen nur die Großen an. Das ist brandgefährlich für die europäische Einigung. Leitartikel von Sebastian Heinrich

Regensburg (ots)

David Cameron hat bekommen, was er wollte: Großbritannien darf künftig erstens die Wartezeiten für volle Sozialleistungen an EU-Ausländer verlängern, zweitens das Kindergeld an EU-Migranten senken, wenn die Kinder im Herkunftsland wohnen; drittens darf das Land Banken laxer überwachen, als das die Euro-Staaten tun. Und viertens können nationale Parlamente künftig EU-Gesetze kassieren. Es ist ein Erfolg für den britischen Premier - und der Beschluss zum Kindergeld ist auch sinnvoll für Deutschland. Nur: Die Art, wie die Briten ihre x-te europäische Extrawurst ausgehandelt haben, ist eine Ohrfeige für die europäische Idee. Denn sie zeigt einmal mehr: In dieser EU sind die großen Staaten mehr wert als die kleinen. Und die Großen nutzen das immer wieder rücksichtslos aus. Diese Ungleichheit ist eine enorme Gefahr für die europäische Einigung - in einer Zeit, in der dieses historische Projekt ohnehin ernsthaft auf der Kippe steht. Die Arroganz der Großen ist brandgefährlich für Europa, weil sie eine zentrale Hoffnung vieler Europäer zerstört: die Hoffnung auf Chancengleichheit. In Wahrheit hat nicht die gleichen Chancen, wer in Athen auf die Welt kommt statt in Berlin oder in Prag statt in London. Denn, frei nach George Orwell: Manche EU-Staaten sind gleicher als andere. Großbritannien lähmt monatelang die gesamte Union mit der Drohung eines Brexit und blockiert so die eigentlich bitter nötige tiefere europäische Integration - und wird hofiert und am Ende zufriedengestellt. Griechenland fordert nach der Abwahl der für den Niedergang des Landes verantwortlichen Altparteien eine Lösung, um seine Schuldenlast tragfähig zu machen - und wird dafür abgekanzelt und muss die Bevölkerung weiter bluten lassen. Deutschland setzt 2008 und 2009, mitten in der Wirtschaftskrise, zwei dutzende Milliarden teure Konjunkturpakete um, erhöht also mitten in Krisenzeiten seine Staatsverschuldung massiv, um die Wirtschaft zu stützen - doch den Ländern Südeuropas wird Ähnliches vewehrt. Stattdessen drückt man ihnen ein Blut-und-Tränen-Sparprogramm auf, das Jobs vernichtet und Millionen in die Armut stürzt. Die Sonderbehandlung der großen EU-Staaten trägt auch dazu bei, dass kleinere Staaten jetzt, in der Flüchtlingskrise, ihre Solidarität verweigern. Es ist aberwitzig, wenn aus der deutschen Bundesregierung nun regelmäßig rhetorische Giftpfeile in Richtung Polen, Ungarn, Tschechien und Slowakei fliegen, weil diese Länder eine Kontingentlösung für Flüchtlinge ablehnen. Dieselbe Bundesregierung hat sich jahrelang selbst gegen solche Kontingente gewehrt - zu einer Zeit, in der sie viel leichter zu organisieren gewesen wären als heute. Man kann es nicht oft genug schreiben: Solange die Flüchtlinge wegen des himmelschreiend unfairen Dublin-Verfahrens in Italien, Griechenland und Spanien landeten, war Berlin europäische Asyl-Solidarität herzlich egal. Diese Arroganz der Großen erklärt freilich nur zum Teil den nationalistischen Egoismus der Kleinen oder vermeintlich Kleinen (Polen ist immerhin das EU-Land mit der sechstgrößten Bevölkerung). Dieser Egoismus ist in erster Linie hausgemacht: Mit ihm wollen die Regierenden einiger Staaten heimische Probleme auf das böse Europa schieben - und das eigene Versagen oder die eigene inhaltliche Leere mit anti-europäischer und fremdenfeindlicher Rhetorik übertünchen. Aber gerade um die Parolen der Scharfmacher und Anti-Brüssel-Schreier auf der Regierungsbank in Warschau oder Budapest zu entlarven, wäre mehr Demut seitens der Großen nötig. Die großen EU-Mitglieder müssen zulassen, dass nicht mehr nur die Großen anschaffen in Europa - auch aus eigenem Interesse. Denn wenn in den Hauptstädten von Lissabon bis Tallin das Ungerechtigkeitsgefühl weiter wächst, dann zerbricht das einige Europa. Und die Folgen wird ein Land ganz besonders stark zu spüren bekommen: Deutschland.

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