Mittelbayerische Zeitung: Leitartikel zur Energiewende: Energie-Wendehälse an Merkels Tisch von Reinhard Zweigler
Regensburg (ots)
Die Hauptakteure von Bund und Ländern, die gestern Abend zum wiederholten Mal zu einem "Energiegipfel" im Kanzleramt zusammen saßen, verfahren nach dem Motto: Wasch mir den Pelz, aber mach' mich nicht nass! Es sind auch etliche Energie-Wendehälse am Werke. Dabei weiß eigentlich jeder in der Runde bei Angela Merkel, dass der weitere Weg hin zu erneuerbaren Energien tiefe wirtschaftliche, technische und gesellschaftliche Veränderungen und Einschnitte, aber vor allem aber auch ungeheuren Nutzen mit sich bringt. Nur gerät dieses übergeordnete hehre Ziel beim beinharten Feilschen um die wichtigen Details des genauen Kurses der künftigen Energiepolitik oft ins Hintertreffen. Im Zweifel ist einem das Hemd näher als der Rock. Und so brechen die einen immer noch eine Lanze für "ihre" Braunkohlekraftwerke und lassen in Nordrhein-Westfalen, Lausitz und Mitteldeutschland weiter Kohle fördern und verbrennen. Der Norden Deutschlands wehrt sich dagegen gegen den geplanten Deckel für den Ausbau von Windenergie. Vor allem auf hoher See, wo die Hightech-Windkraftanlagen besonders effizient betrieben werden können. Der nach wie vor nur schleppend vorankommende Ausbau von Stromtrassen ist den Niedersachsen bis Vorpommern ebenfalls ein Dorn im Auge. Für Windstrom, der nicht über die überlasteten Leitungen abfließen kann, muss trotzdem teuer bezahlt werden. Energiewende paradox. Geradezu verknotet haben sich die Akteure bei den künftigen Stromtrassen. Weil die Planer im Auftrag der Bundesnetzagentur teilweise überfallartig Trassenverläufe den Regionen vorgelegt beziehungsweise übergestülpt haben, regte sich vielerorts Widerstand. Horst Seehofer hat diesen Quell des Unmuts rasch erkannt - und sich flugs an die Spitze der Anti-Trassenbewegung zu setzen versucht. Und dies nicht, weil er die Energiewende torpedieren will, sondern vor allem, weil unzufriedene Leitungsgegner bei der nächsten Landtagswahl wohl kaum ihr Kreuz bei den Christsozialen machen würden. Heraus kamen dabei sonderlich Formeln wie "Zwei minus X", die den Menschen vorgaukeln sollten, zwei große Trassen, eine davon im Osten des Freistaates, brauche es gar nicht. Aber das sind Taschenspielertricks. Auch nach dem Ende des letzten Atommeilers in Bayern 2022 braucht der Freistaat eine sichere Energieversorgung. Die Voraussetzungen dafür müssen in den nächsten Jahren geschaffen werden. Beim vorletzten Energiegipfel hatte Seehofer durchgedrückt, dass nicht noch mehr hohe Strommasten und Leitungen, sondern Erdkabel das Problem lösen könnten. Zumindest in Bayern. Allerdings werden auch die weit teureren in der Erde verlegten Kabel die Landschaft durchschneiden und nicht ohne Nebenwirkungen zu haben sein. Man kann kein Omelett braten, ohne Eier zu zerschlagen, weiß das Sprichwort. Das heißt in diesem Fall, dass der Staat von vornherein faire Ausgleichsregeln mit den betroffenen Regionen, Ortschaften und Landeigentümern aushandeln muss. Und die von der Regierung bestellten Planer sollten zudem offen sein für alternative Trassenvorschläge von den Bewohnern vor Ort. Denn eine Erfahrung, die auch der Energiegipfel viel mehr berücksichtigen müsste, ist die: Ohne die Einbindung der Bevölkerung, ohne innovative Unternehmen, ohne Tüftler, ohne Bauern und ohne Handwerker, bliebe die Energiewende Stückwerk.
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