Mittelbayerische Zeitung: Leitartikel zum Brexit: Nach dem Ende von Christian Kucznierz
Regensburg (ots)
Man ist geneigt, in bester Obelix-Manier den Finger an die Stirn zu tippen und "die Spinnen, die Briten" zu sagen. Und der Ausspruch des Kumpels von Comic-Held Asterix ist nicht falsch angesichts der Entscheidung einer Mehrheit - wenn auch einer knappen - der Briten, die EU verlassen zu wollen. Aber lustig ist das alles nicht. Im Gegenteil. Ja, Volkes Stimme hat gesprochen, und ja, diese Entscheidung ist zu respektieren. Aber ob das Volk, das nun gesprochen hat, sich der Konsequenzen bewusst ist, ist mehr als unsicher. Die Folgen sind kaum abzusehen; spürbar sind sie bereits in den Morgenstunden dieses schwarzen Freitags in der Geschichte Europas. Die Börsen rauschen ab. Das Pfund hat plötzlich den Wert von 1985. Und in Schottland, das geschlossen für einen Verbleib in der EU gestimmt hat, werden die Rufe nach einem neuen Referendum laut - darüber, ob man Teil Großbritanniens bleiben will oder lieber unabhängig als Mitglied der Europäischen Union. So viel zum Vereinigten Königreich. So, wie diese Union nun auf dem Spiel steht, so ist der Zusammenhalt der EU insgesamt bedroht. Eigentlich der Bestand Europas. Dieser Kontinent, der sich über Jahrhunderte darüber definierte und politisch formte, dass verschiedenste Völker sich bekriegten, hat nach dem Zweiten Weltkrieg eine historische Leistung vollbracht. Die Gegner von einst beschlossen, zum gemeinsamen Wohl künftig gemeinsam zu handeln. Die EU ist bei allen Vorurteilen - siehe Regulierung der Gurkenkrümmung - eben keine Gurkentruppe. Sie ist und bleibt ein Meilenstein internationaler Politik, ein Konstrukt, das weltweit kritisch und neidisch beäugt wurde. Und das jetzt als Beleg dafür genommen werden kann, dass so etwas wie eine Union souveräner Staaten am Ende eben doch nicht funktionieren kann. Soweit aber darf es nicht kommen. Dass wir uns jetzt am Rand dieser Klippe eines historischen Scheiterns sehen, ist auch Schuld der EU, die sich eben doch oft mehr um Krümmungsgrade von Kürbisgewächsen zu kümmern schien, um Ölkännchen und Schlachtschüsseln in Dorfwirtschaften, als um die Menschen. Brüssel, das steht für viele für Bürokratiewahnsinn, Realitätsferne und Regulationswahn. Die Briten haben sich dem entziehen wollen, angefacht von einer Debatte, in der Fremdenfeindlichkeit eine ebenso große Rolle spielte wie Misstrauen, und die geführt wurde von Populisten, denen das Wohl oder Weh der Menschen egal ist, solange die verunsichert genug sind, um ihnen zur Macht zu verhelfen. Nigel Farage ist ihr Gesicht in Großbritannien. Aber seine Brüder und Schwestern im Geiste sind in allen EU-Staaten daheim. Marine Le Pen in Frankreich, Geert Wilders in den Niederlanden, Frauke Petry in Deutschland. Es ist die Stunde der Populisten. Aber es muss eben eine Stunde bleiben. Kein Land der EU wird auf Dauer alleine in einer Welt globalisierter Märkte über die Runden kommen. Egal, was den Briten versprochen wurde, von neuen internationalen Handelsabkommen bis zur erneuten Blüte der heimischen Wirtschaft: Es wird nicht funktionieren. Die Insellage, die einst Garant für den Aufstieg und die Unabhängigkeit Großbritanniens war, ist heute eine Illusion. Die Briten werden das noch zu spüren bekommen. In der Pflicht ist aber vor allem die EU selbst. Sie muss sich reformieren, sie muss sicher transparenter werden, wahrscheinlich auch schlanker, um nicht weitere Exit-Szenarien zu erleben. Im Moment müssen sich die Staaten Europas aber vor allem fragen, warum ihren Regierungen das nicht gelungen ist, was den Populisten gelang: Vertrauen der Menschen zu gewinnen.
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