Mittelbayerische Zeitung: Handel ohne Wandel
Kommentar zu Putin/Erdogan
Regensburg (ots)
Wandel durch Annäherung, lautete im Kalten Krieg die Devise der Neuen Ostpolitik. Der ökonomische Faktor ergänzte die politische Entspannung damals entscheidend. Daraus erwuchs das Schlagwort Wandel durch Handel. Das Prinzip funktionierte so gut, dass bis heute viele Außenpolitiker in Europa und insbesondere in Deutschland die These vertreten, man müsse mit Diktatoren nur gute Geschäfte machen, um die Herrschaftsstrukturen zu unterminieren. Wirtschaftlicher Aufschwung entfache geradezu automatisch die Sehnsucht nach politischer Freiheit. Sanktionen dagegen seien kontraproduktiv. Das ist leider Unfug. Was unter den Bedingungen des real gescheiterten Sozialismus die Perestroika beförderte und erfolgreich war, ist heute kein Rezept mehr, wie die Beispiele Russland und Türkei belegen. Dort war es gerade der neue Reichtum, der das Fundament für den Machtausbau der autoritären Herrscher Wladimir Putin und Recep Erdogan und der sie stützenden Eliten bildete. Wohl wahr: In beiden Ländern keimten Bürgerbewegungen auf. Sie waren und sind aber viel zu schwach, um sich durchzusetzen. Vor diesem Hintergrund ist es kein Wunder, dass sich Putin und Erdogan bei ihrem Treffen in Sankt Petersburg zuallererst um wirtschaftliche Belange kümmerten. Pipelineprojekt und AKW-Bau gegen Tomatenimport und Tourismusförderung: Das waren die zentralen Deals, und dahinter verbarg sich das Begleitmotto Handel ohne Wandel. Denn Veränderungen im Sinne einer echten Modernisierung meiden beide wie der Teufel das Weihwasser. Die starken Männer des Ostens, die im Westen seit Jahren enorm an Ansehen und Einfluss verloren haben, wissen gut, dass ihr politischer Erfolg schnell enden kann, wenn es den Menschen in ihren Ländern wirtschaftlich schlecht geht. Ob die neue Freundschaft zwischen Putin und Erdogan darüber hinaus tragfähig ist, ist eher zweifelhaft. Im syrischen Stellvertreterkrieg sind sie Gegner, wenn nicht Feinde. Die weitere Entwicklung hängt deshalb entscheidend vom außenpolitischen Geschick der EU und der USA ab. Offensichtlich ist, dass dem Westen eine einigermaßen kohärente Strategie für den Umgang mit den beiden autoritären Herrschern und ihren zerbrechlichen Großreichen fehlt. Man kann nur hoffen, dass die Karten nach der Präsidentenwahl in den USA neu gemischt werden - und zwar nicht von Donald Trump.
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