Mittelbayerische Zeitung: Kommentar zu Merkel/Visegrad-Gruppe
Regensburg (ots)
Zu Gast bei den Gegnern
von Ulrich Krökel
Angela Merkel reist nach ihrem Urlaub durch Europa, und es spricht für eine gute Erholung oder grundsätzliche Widerstandskräfte, dass sie dabei selbst quasifeindliches Terrain nicht auslässt. Am Freitag stellte sich die Kanzlerin in Warschau gleich vier ihrer aktuell schärfsten Kritiker in der EU - den Regierungschefs in der osteuropäischen Visegrad-Gruppe (V4). Dazu zählen sehr unterschiedliche Charaktere mit sehr unterschiedlichen Beziehungen zu Deutschland und ihrer Kanzlerin. In Polen, dem wichtigsten Staat der Region, ist die Lage kompliziert. Im Gastgeberland des Minigipfels, das wie kaum ein anderes unter der Nazi-Aggression in Europa gelitten hat, war das Verhältnis zum großen Nachbarn im Westen nach 1989 meist gut, aber stets fragil. Der notorische Deutschland-Hasser Jaroslaw Kaczynski, dessen PiS-Partei derzeit in Polen das Sagen hat, repräsentiert den abgewandten Pol. Entsprechend unterkühlt ist das Verhältnis der Regierungen in Warschau und Berlin derzeit. In Tschechien und der Slowakei ist die Lage entspannter, obwohl die schwierige gemeinsame Geschichte dort ebenfalls keineswegs vergessen ist. Ungarn hingegen war nicht nur im Weltkrieg zeitweise ein fanatischer Verbündeter Nazi-Deutschlands. Ministerpräsident Viktor Orbán war und ist auch ein langjähriger Freund von Alt-Bundeskanzler Helmut Kohl. Es gab auch eine Zeit, als Deutschland im damaligen Reformmusterstaat Ungarn als Paradies voller Freunde galt. Das hat sich inzwischen drastisch geändert. Dem autoritär regierenden Nationalisten Orbán ist das latent grün-liberal-weltoffene Merkel-Deutschland suspekt. Dies wiederum ist ein Punkt, der Orbán mit den anderen V 4-Regierungschefs verbindet, wie sich vor allem in der Flüchtlingskrise zeigte. Der Streit um Aufnahmequoten markierte einen historischen Bruch zwischen Deutschland und den Ostmitteleuropäern. Es wäre dabei ein fataler Irrtum, in dem Konflikt lediglich eine Folge des boomenden Populismus im Osten sehen zu wollen. Es sind nicht nur die Anführer Orbán, Kaczynski, der Tscheche Milos Zeman oder der Slowake Robert Fico, die keinen intellektuellen Zugang zu Merkels humanitärer "Wir schaffen das"-Politik finden (wollen). Es geht den meisten Menschen in Osteuropa nicht anders. Dahinter verbergen sich tiefe weltanschauliche Differenzen, die aus der so unterschiedlichen Geschichte im 20. Jahrhundert resultieren. Sie haben sich schon einmal offenbart, kurz vor dem Irak-Krieg 2003, als US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld die Osteuropäer zu neuen Europäern erklärte, um sie erfolgreich gegen das "alte Europa" ausspielen zu können. Vor allem mit dem verbreiteten Pazifismus der Deutschen konnten die Osteuropäer damals genau so wenig anfangen wie mit Merkels Flüchtlingspolitik heute. Man sollte all dies aus deutscher Perspektive nicht sogleich als rückwärtsgewandt abtun, sondern zunächst die Realität, mit der bekanntlich alle Politik beginnt, anerkennen und analysieren. Genau dies tut Angela Merkel. Während Viktor Orbán am Freitag den starken Mann markierte (Grenzzaun verstärken!), machte Angela Merkel der Visegrad-Gruppe klar, dass die EU-Staaten auf Dauer nur miteinander erfolgreich sein können, erst recht nach dem Brexit-Referendum. Die Kanzlerin hat die größere Macht und die besseren Argumente auf ihrer Seite.
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