Mittelbayerische Zeitung: Abschied vom Diesel
Der VW-Abgasbetrug beschleunigt eine Technikrevolution. Sie könnte der Durchbruch für Elektroautos sein. Leitartikel von Stefan Stark
Regensburg (ots)
Es hat sich langsam ausgestunken und ausgedieselt: Der VW-Abgasskandal läutet eine Zeitenwende im Automobilbau ein, die ursprünglich nicht so beabsichtigt war. Wir erleben gerade den Anfang vom Ende der Diesel-Ära - ein Jahr, nachdem die schmutzigen Tricksereien in den USA aufflogen. Mit einem der größten Betrugsfälle der Wirtschaftsgeschichte richteten die inzwischen mit einem goldenen Handschlag geschassten VW-Bosse nicht nur einen riesigen finanziellen Schaden an. Sie fuhren gleich noch die Motortechnik gegen die Wand, die sie vorher noch als Meisterleistung deutscher Ingenieurskunst anpriesen. Jetzt reißen die neuen Herren in Wolfsburg das Lenkrad spektakulär herum - in prominenter Begleitung anderer Hersteller wie BMW und Daimler. Weg von den Ölverbrennern, die selbst mit funktionierender Reinigungstechnik keine frische Waldluft aus dem Auspuff blasen - hin zu Elektroautos mit ihrem Öko-Image, lautet die Devise. Der Kurswechsel bedeutet einen Paradigmenwechsel - falls die neuen Modelle halten, was die Autobauer versprechen. Der nächste E-Golf etwa soll 300 Kilometer weit fahren können, ehe er wieder ans Ladekabel muss. Eine deutlich größere Reichweite verbunden mit merklich sinkenden Preisen könnten die Elektromobilität tatsächlich aus dem Schattendasein führen, das sie bis jetzt in Deutschland trotz großzügiger Kaufprämien führt. Und ein gelungener Neustart bei den E-Autos wird dem Diesel über kurz oder lang den Rest geben. Dabei wirkt der VW-Abgasskandal nur wie ein Katalysator - ein Reaktionsbeschleuniger - für eine Entwicklung, die letztlich unvermeidbar ist, weil sie von der europäischen Klimapolitik so gewollt ist. Denn immer strengere Umweltauflagen machen es den Autoherstellern stetig schwerer, die Normen zu erfüllen. Schon jetzt müssten in vielen Städten, die mit Schadstoffen überbelastet sind, eigentlich Fahrverbote verhängt werden. Die Umweltplaketten in rot, gelb und grün für die verschiedenen Abgasnormen fungieren als Eintrittskarten für Autos in die Innenstädte. Dabei werden die Hürden höher: 2017 soll die blaue Plakette für Fahrzeuge kommen, die die Euro-6-Norm erfüllen. Wer den Aufkleber nicht hat, muss mit deutlichen Einschränkungen rechnen. Die Schadstoffbilanz eines Autos wird zu einem vorrangigen Kaufargument. Der Strategiewechsel der führenden deutschen Hersteller ist ein klares Indiz dafür, dass man dem Elektroauto hier größeres Potenzial zutraut als dem Diesel. Denn wie der VW-Abgasskandal nahelegt, stoßen die Ingenieure an ihre Grenzen, wenn sie ohne Tricksereien und zu vertretbaren Kosten einen sauberen Diesel auf die Räder stellen sollen. Dieselgate offenbart eine fehlgeleitete Unternehmenskultur: Der systematische Betrug an den Kunden in diesem Ausmaß und die Täuschung der Umweltbehörden über lange Zeiträume waren nur möglich mit den strikten hierarchischen Strukturen, die auf Befehl und blindem Gehorsam aufbauen. Nur so lässt sich erklären, dass die ersten Warnungen von Ingenieuren vor Unregelmäßigkeiten - knapp ein Jahr, ehe der Skandal aufflog - von VW-Gott Martin Winterkorn ohne irgendwelche Folgen ignoriert werden konnten. Inzwischen wirbt der Konzern für gesetzestreues Handeln. Wenn Dinge schief laufen, sollen sie auf den Tisch. Auch im Management deutet sich eine Zeitenwende an, die überfällig ist: Ein echter Neustart in Wolfsburg kann nur mit Beschäftigten gelingen, die sich verantwortlich fühlen. Doch die Mitarbeiter werden einen hohen Preis für die Neuorientierung bezahlen müssen, vor allem im Motorenwerk Salzgitter. Wenn künftig weniger Viertakter, dafür aber mehr Batterien gebraucht werden, ist es offensichtlich, wo künftig der Rotstift angesetzt wird. Hier bleibt nur die bislang vage Hoffnung, dass es in Deutschland irgendwann zu einer nennenswerten Akkuproduktion für Elektroautos kommt. Milliardenwerte vernichtet, das Image ramponiert, verunsicherte Beschäftigte, Kommunen mit VW-Standorten, die finanziell in Mitleidenschaft gezogen werden - der Schaden ist beträchtlich. Die Wolfsburger müssen froh sein, dass der Bundesverkehrsminister seine schützende Hand über sie hält. Denn wenn ihnen hierzulande Strafen drohen würden wie in den USA und sie ihre deutschen Kunden so entschädigen müssten wie die amerikanischen, wäre der Ofen aus.
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