Mittelbayerische Zeitung: Patriotische Tat
Es ist auch einem couragierten Flüchtling zu verdanken, dass ein Terror-Verdächtiger gefasst wurde. Leitartikel von Reinhard Zweigler
Regensburg (ots)
Ist es eigentlich bereits eine patriotische Tat, wenn ein syrischer Flüchtling, wie jetzt in Leipzig geschehen, einen mutmaßlichen Terroristen und Landsmann der Polizei ausliefert? Noch dazu hatte er den islamistischen Bombenbauer bereits gefesselt, so dass die deutschen Sicherheitskräfte in der Nacht zum Montag relativ leichtes Spiel hatten. Man weiß bislang nur wenig über den genauen Hergang der Ergreifung des Jaber al-Bakr. Doch nach allem, was bisher festzustehen scheint, hat sich sein Landsmann in Leipzig um die Sicherheit in Deutschland verdient gemacht. Ein Flüchtling ist zum Patrioten in dem Land geworden, in dem er Zuflucht gesucht hat. Das verdient Respekt und Anerkennung. Freilich haben die Ereignisse um einen möglicherweise verhinderten Sprengstoffanschlag in Sachsen auch noch einmal deutlich vor Augen geführt, dass Deutschland im Visier islamistischer Terroristen bleibt. Völlige Sicherheit, dass der Bombenbauer aus Chemnitz keine Nachahmer findet, gibt es nicht. Es waren bislang häufig Zufälle, Tipps von ausländischen Geheimdiensten sowie akribische Puzzlearbeit deutscher Dienste und Polizeien, dass es hierzulande keine schlimmeren Anschläge gab. Der Staat hat sich in dieser Hinsicht als handlungsfähig erwiesen. Man muss wohl auch sagen, er ist dabei, jene Sicherheitslücken zu schließen, die vor allem im vergangenen Herbst bei der weithin unkontrollierten Einreise von Flüchtlingen aufgemacht worden waren. Doch wie der Fall des Syrers aus Chemnitz zeigt, ist natürlich auch eine ordnungsgemäße Registrierung sowie ein ebensolches Asylverfahren keine Garantie für Wohlverhalten. Sicherheitsbehörden und die gesamte Gesellschaft, Ausländerbehörden, Flüchtlingsorganisationen, Kirchen, muslimische Verbände, Schulen, Sportvereine, Nachbarn müssen weiter auf der Hut sein. Die Augen offen zu halten, ist allerdings etwas anderes, als Flüchtlinge unter generellen Terrorverdacht zu stellen oder auszuspionieren. Dass Rechtspopulisten und Rechtsradikale Chemnitz zum Anlass für Stimmungsmache gegen Flüchtlinge, gegen Ausländer ganz allgemein machen werden, ist womöglich ein Kollateralschaden dieses Falles. Nur muss man auf deren plumpe Parolen ja nicht hereinfallen. Aber natürlich wirft der Fall in Sachsen auch eine Reihe von politischen Fragen auf. Sind die Ermittlungs- und Eingriffsmöglichkeiten von Diensten und Polizeien effektiv genug, um den raffiniert und professionell agierenden Terroristen auf die Schliche zu kommen? Und zwar möglichst, bevor sie zuschlagen konnten. Bei der Erhebung und Speicherung von Telekommunikationsdaten gibt es noch einige Regelungslücken. Doch die Koalition kann sich leider nicht darauf einigen, sie zu schließen. Ebenfalls muss gefragt werden, warum die Strafbarkeit von Sympathiewerbung für Terrorvereinigungen immer noch nicht gesetzlich geregelt ist. Und zwar nicht nur für den IS, der besonders brutal vorgeht, sondern auch für scheinbar harmlos daherkommende Vereinigungen. Licht muss zudem nicht nur in die Kommunikationsströme, sondern auch in das Dunkel der Finanzierung der Terroristen gebracht werden. Ohne Geld, auch aus Europa, auch aus Deutschland, wären die Mörderbanden des IS kaum so handlungsfähig. Ungelöst ist zudem das Problem der sogenannten "Gefährder", also einiger Hundert ehemaliger Terroristen, die nach Deutschland zurückgekehrt sind. Viele mögen desillusioniert sein, mögen dem Terror abgeschworen haben. Doch was ist mit den anderen? So oder so benötigt der wehrhafte Staat ausreichend Polizei und ausreichende Mittel, um der Terrorgefahr die Stirn bieten zu können.
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