Mittelbayerische Zeitung: Höchste Alarmstufe
Das Rennen um die Präsidentschaft wird geprägt vom Thema Terror. Dem Land droht ein Bruch.
Regensburg (ots)
Die Franzosen standen nach den Attentaten des 13. November noch unter Schock, als Präsident François Hollande den Ausnahmezustand erklärte. Dann patrouillierten schwer bewaffnete Polizisten und Soldaten durch die Straßen. Worte wie Personenkontrolle, Hausdurchsuchungen oder mögliche Ausgangssperren gehörten plötzlich zur Alltagssprache. Aus den zunächst erklärten zwölf Tagen Ausnahmezustand wurden Monate und nun ein ganzes Jahr. Dieses Jahr hat Frankreich verändert. Wer durch das Land fährt, hat das Gefühl, dass sich ein Bruch vollzieht. Der in Frankreich sehr bekannte Soziologe Gilles Kepel hat gerade ein Buch veröffentlicht, das genau diesen Titel trägt. Der Bruch. Es ist ein Weckruf, der das politische Führungspersonal unseres Nachbarlandes in höchste Alarmbereitschaft versetzen sollte. Denn die französische Gesellschaft ist im zerstörerischen Zangengriff zwischen dschihadistischem Terror und identitärem Rechtsextremismus. Bislang ist noch keine Antwort gefunden, wie sie sich daraus befreien kann. Die Politik in Frankreich ist nach rechts gerückt. Das wird sich bei der Präsidentschaftswahl 2017 widerspiegeln. Die meisten Beobachter rechnen fest damit, dass Marine Le Pen für den rechtsextremen Front National (FN) in die zweite Runde einzieht. Die Linke wird größtenteils abgeschrieben. Die Alternative in der Stichwahl wird demnach der Kandidat sein, der sich im bürgerlich-konservativen Lager durchsetzt. Die Vorwahlen finden Ende November statt und gelten als vorgezogene Präsidentschaftswahl. Das heißt, entweder läuft es auf Le Pens populistisches Ebenbild Nicolas Sarkozy hinaus oder der ehemalige Premierminister Alain Juppé, der als Vernunftmensch und Wirtschaftsreformer gilt, macht das Rennen. Sarkozy tritt mit einem Programm an, dass dem FN sehr nahe kommt. Er teilt die Parolen um innere Sicherheit, lasche Grenzkontrollen und zu viele Ausländer. Seine Antwort auf die Frage der Terror-Prävention: weitere Einschränkungen bürgerlicher Freiheiten. Eine lange Analyse findet bei Sarkozy nicht statt. Er müsste sich schließlich auch mit eigenen Fehlern auseinandersetzen. Denn das Gefühl, nicht dazu zu gehören, das bei vielen muslimischen Bewohnern der französischen Vorstädte anzutreffen ist, hat Sarkozy als Innenminister und Präsident geschürt. Genau dieses Gefühl war eine Voraussetzung für den Erfolg der Propaganda radikaler Islamisten. Ein weiterer Aspekt ist die schlechte Wirtschaftslage. Juppé will harte Einschnitte vornehmen und beispielsweise die 35-Stunden-Woche kippen. Schon seit Jahren ist die Arbeitslosigkeit hoch. Auch hier sind die Menschen in den Vororten besonders stark betroffen - in besonderem Maße die muslimischen Jugendlichen. Sie waren die Leidtragenden eines Systemversagens. Denn ihre Eingliederung über den Weg der Ausbildung hat vielfach nicht funktioniert. Selbst wenn sie gute Abschlüsse hatten, fanden sie in großer Zahl keine Anstellung. Deshalb verloren auch die linken Parteien, die mit dem Thema der Umverteilung für diese Jugendlichen zunächst attraktiv waren, an Zuspruch. Die soziale Ausgrenzung führte zu einer Rückbesinnung auf die eigene Herkunft und Religion wurde in den Vorstädten ein riesiges Thema. Das Systemversagen benennt aber derzeit nur ein französischer Politiker, der zwar als Kandidat hoch gehandelt wird, aber noch gar nicht erklärt hat, ob er antreten wird: Emmanuel Macron. Der Ex-Wirtschaftsminister könnte die Wahl aufmischen. Seine Kandidatur wäre gut, weil mit ihm eine Systemdebatte unüberhörbar geführt werden müsste, die ein wichtiger Schritt wäre, um Terror-Prävention in Frankreich voranzutreiben.
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