Mittelbayerische Zeitung: Der fremde Freund
Die USA ticken anders. Das wird unter Trump deutlicher werden. Aber es war schon unter Obama so. Leitartikel von Christian Kucznierz
Regensburg (ots)
Europäer, vor allem Deutsche, unterliegen einem Fehler, wenn sie an die Vereinigten Staaten denken. Die meisten sprechen oder verstehen Englisch, viele technische, kulturelle und gesellschaftliche Entwicklungen jenseits des Atlantiks sind uns vertraut, weil wir sie zeitgleich oder mit Verzögerung erleben. Und die Amerikaner sind doch eigentlich einmal Europäer gewesen. Deswegen, so der Denkfehler, müsste man sich doch eigentlich gut verstehen und deswegen muss man das, was in den Staaten vor sich geht, mit europäischen Standards vergleichen und messen können. Wie gesagt: Das ist ein Denkfehler. Wie groß dieser Fehler ist, zeigt sich nicht erst seit der Wahl von Donald Trump. Der scheidende US-Präsident Barack Obama ist ein Beispiel dafür, wie verzerrt unsere Wahrnehmung der USA ist - und wie sehr das Land immer schon eine Projektionsfläche unserer Wünsche und unserer Ängste ist. Obamas Wahl war eine Sensation, aber auch ein Problem für die konservativen Amerikaner. Hierzulande insbesondere wurde dieser Aspekt ausgeblendet. Obama war, nach den Jahren unter George W. Bush, eine Erlöserfigur, einer, der nicht Krieg und Weltmachtstellung propagierte, sondern Frieden, Freiheit, soziale Gerechtigkeit - gemeinhin also das, was wir aus unserer Warte für die richtigen, die selbstverständlichen Werte halten. Die Begeisterung für Obama war im eigenen Land schneller verflogen als bei uns. Seine Politik galt den konservativen, den neoliberalen Wählern als Teufelszeug, als Aufgabe uramerikanischer Werte wie Selbstverantwortung, Selbstbestimmtheit und einer puritanischen Ethik, in der Erfolg eine Eigenleistung darstellt, die den Erfolgreichen zudem als von Gott selbst Auserwählten auszeichnete. Aber selbst bei uns begann der Mythos Obama zu bröckeln, als klar wurde, dass auch einer wie er das Folterlager Guantánamo nicht schließen wird, dass der Abzug der US-Truppen aus dem Irak keinen Frieden bringt, und dass der Giftgaseinsatz gegen Zivilisten im Syrienkrieg keine Konsequenzen hatte, obwohl Obama von einer roten Linie gesprochen hatte, die überschritten worden sei. Dafür kämpft heute Russland aufseiten des Diktators Assad gegen die Aufständischen, und nicht gegen den Islamischen Staat und nicht für die Demokratie. Und es war unter Obama, dass die NSA Daten der Deutschen und ihrer Kanzlerin sammelten. Es war unter Obama, dass Edward Snowden sein Asyl in Russland antreten musste, weil die USA ihn als Verräter jagen. Und es waren dieselben Deutschen, die den Heilsbringer Obama dafür an den Pranger stellen wollten. Das alles zeigt letztlich, dass wir die USA gerne so hätten, wie es uns gefällt. Aber das interessiert die Amerikaner nicht. Genau genommen interessieren sich die meisten Amerikaner gar nicht, was um sie in der Welt passiert. Die Wahl Trumps zeigt zudem Schlimmeres: dass Teile der USA voneinander nichts wissen. Das Verhältnis von Land und Stadt dort hat kaum etwas mit einem deutschen Stadt-Land-Gefälle zu tun, wenn die Fahrt mit dem Auto im Mittleren Westen zur nächsten Stadt mehrere Stunden bedeutet und Muslime im ländlichen Amerika nur aus dem Fernsehen bekannt sind - als Terroristen. Oder der Ostküsten-Intellektuelle keine Ahnung davon hat, was es heißt, seine Farm mit der vierten Hypothek zu belasten, damit die Familie über die Runden kommt. Obamas Amerika war mit Abstrichen das unserer Wünsche. Und nun wird es ein Amerika geben, das wir nicht in Ansätzen verstehen werden und das auch viele Amerikaner nicht haben wollten. Nein, ihnen wurde nicht der Sieg Clintons geraubt. Ihr Wahlrecht hat das getan. Wenn also die US-Bürger über den Ausgang dieser Wahl entsetzt sind, dann liegt es nun an ihnen. Dann sollten sie sich über ihren politischen Betrieb Gedanken machen. Über eine Verfassung, in der ein Wahlrecht aus den Gründerjahren weiterlebt. Und über ein Land, das nun erlebt, dass der Hass, den Trumps Rhetorik gesät hat, aufzugehen droht. Es liegt an ihnen, ihre Kinder zu lehren, dass Gleichberechtigung von Homosexuellen ein verfassungsmäßiges Gut ist. Dass Gesundheitsversicherung keine Bedrohung ist. Dass Hautfarbe und Herkunft keine Aussage über Kriminalität zulassen und der Islam nicht gleichbedeutend mit einer Terrorideologie ist. Es liegt an den Amerikanern, dies zu tun. Wir können nur hoffen, dass der fremde Freund USA uns nicht noch fremder wird.
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