Mittelbayerische Zeitung: In Trippelschritten
Nur langsam nimmt das Programm des SPD-Kanzlerkandidaten Kontur an.
Regensburg (ots)
Die Bilder mit Martin Schulz gleichen sich. Egal, wo der SPD-Kanzlerkandidat in dieser Woche auftrat, ob in Vilshofen, Berlin oder Würzburg, er wurde mit Jubel empfangen, begleitet und verabschiedet. So, als wäre er der erste Spitzenpolitiker in Deutschland, der für mehr Gerechtigkeit eintritt. Offenbar ist ihm selbst der Hype um seine Person schon unheimlich. Schon macht der Spitzname "Gottkanzler" die Runde. Allerdings, wer es schafft, die jahrelang verzagte und gedemütigte Sozialdemokratie beinahe über Nacht aus dem Tal der Tränen heraus und an die Union heranzuführen, der hat schon Außergewöhnliches geleistet. Martin Schulz erzählt landauf, landab seine gebrochene Biografie und pocht auf Gerechtigkeit. Das reicht fürs Erste aus, um die SPD wieder zu beleben, neue Anhänger und Sympathisanten zu gewinnen. Schulz' schlichte Sätze reichen aus, um die reichlich selbstzufrieden gewordene Union zu verunsichern und den Wahlkampf in Deutschland spannend zu machen. Egal, wie das Rennen im September ausgehen wird, man kann bereits heute sagen: Schulz politisiert das Land, wie das seit fast 20 Jahren keinem gelungen ist. Und das ist gut so. Doch nur für schöne Botschaften, vage Ankündigungen, das ständig wiederholte Mantra Gerechtigkeit wird auch Schulz nicht gewählt, wird er nicht Angela Merkel aus dem Kanzleramt wuppen, wird er nicht die Politik umkrempeln. Jeder Kanzlerkandidat braucht auch ein Programm, hinter dem sich seine Anhänger, seine Wähler scharen können wie hinter einer aufgepflanzten Standarte, um es etwas altertümlich zu sagen. Das Programm von Martin Schulz nimmt freilich nur langsam Kontur an. Nun wird zumindest klar, dass der Ich-will-Kanzler-von-Deutschland-Mann ein paar Veränderungen beim Arbeitslosengeld I plant. Die Hilfe aus der Arbeitslosenversicherung soll länger fließen - statt bislang höchstens zwei künftig vier Jahre -, wenn sich der oder die Betroffene weiterqualifiziert. Auch bei der Anrechnung des Vermögens bei Hartz IV will Schulz dem Vernehmen nach etwas großzügiger sein, als es die bisherige Regelung erlaubt. Damit unternimmt der Kanzlerkandidat allerdings lediglich Trippelschritte auf dem Weg der Korrektur von Gerhard Schröders Agenda 2010. Wer von Schulz eine Totalrevision, gar eine Rücknahme der umstrittenen Sozialreformen von vor beinahe 15 Jahren erwartet hatte, wird enttäuscht sein. Er will lediglich ein paar Daumenschrauben lockern. Und auffällig ist, dass vor allem ältere Beschäftigte beziehungsweise Arbeitslose in den Genuss der Schulz'schen Reformen kommen würden. Für Jüngere würde sich danach kaum etwas verändern - und für heutige Hartz-IV-Bezieher gleich gar nichts. Martin Schulz und sein Wahlkampfteam müssen also noch gehörig nachlegen, sie müssen Konkreteres liefern, wenn sie wirklich die Wahl gewinnen und die Unionskanzlerin kippen wollen. Bei CDU und CSU, die den ersten Schulz-Schock offenbar verdaut haben, ist auf der anderen Seite noch keine zugkräftige Wahlkampfstrategie zu erkennen, mit der sie den bärtigen SPD-Mann stoppen können. Nachdem Wolfgang Schäuble nichts Besseres einfiel, als Schulz in die Nähe von Populisten wie Donald Trump zu rücken, bezichtigt Unionsfraktionschef Volker Kauder Schulz der Schwarzmalerei und des Schlechtredens. Ansonsten sei doch alles gut in Deutschland. Vielleicht hofft man bei CDU und CSU auch nur darauf, dass der ganze Hype um Schulz nach und nach wieder abflaut. Solange Schulz nicht liefert, könnte das durchaus der Fall sein.
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