Mittelbayerische Zeitung: Leitartikel von Sebastian Heinrich zu Innenministerkonferenz/Innere Sicherheit
Regensburg (ots)
Automatische Gesichtserkennung, bundesweite Schleierfahndung: Thomas de Maizière und Joachim Herrmann machen zur Innenministerkonferenz die nächsten Vorschläge dazu, wie sie die Deutschen besser vor Kriminalität und Terrorismus schützen wollen. Gäbe es sie nicht schon, würden der bundesdeutsche und der bayerische Innenminister sicher auch die Vorratsdatenspeicherung fordern. Es ist die jüngste Version einer recht alten Zauberformel: Mehr Überwachung plus mehr Kontrolle ist gleich mehr Sicherheit für alle. Politiker in Deutschland und anderswo holen sie besonders gerne heraus, wenn in Zeiten der Terrorgefahr Wahlen anstehen. Was die Wahlkämpfer De Maizière und Herrmann lieber nicht sagen: Gesichtserkennung und Schleierfahndung, das bedeutet anlasslose Kontrolle und Überwachung. Der Staat überwacht und kontrolliert Bürger, ohne dass es einen Anfangsverdacht gibt. Das ist ein großes Problem, vor allem aus zwei Gründen. Erstens spricht viel dafür, dass diese Sicherheits-Zauberformel gar nicht funktioniert. Stichwort Terrorismus: Sämtliche islamistische Attentäter, die seit 2014 in Europa Menschen getötet haben, waren den Behörden schon vor dem Anschlag als gewaltaffin bekannt. Die Hälfte von ihnen war sogar gesucht oder überwacht. Die Daten über diese Menschen gab es also, man hat sie nur nicht dingfest gemacht. Die Behördenpannen um den Attentäter vom Berliner Weihnachtsmarkt, Anis Amri, sind ein besonders erschreckendes Beispiel. Im Kampf gegen den Terror hatten die Behörden nicht zu wenig Daten - sie haben bei den gefährlichen Islamisten einfach nicht rechtzeitig eingegriffen. Stichwort Einbrüche: Eines der Argumente für die Schleierfahndung ist ja, dass durch sie angeblich Wohungseinbrecher leichter entdeckt und abgeschreckt werden. In Bayern, wo es die Schleierfahndung gibt, ist das Einbruchsrisiko niedriger als in Nordrhein-Westfalen, wo Polizisten nicht anlasslos kontrollieren dürfen. Doch wer mit Polizisten in Nordrhein-Westfalen spricht, hört eher von anderen Problemen: etwa, dass Einbrecher von der Polizei zwar geschnappt, von der Justiz aber wieder freigelassen werden. Und Polizeigewerkschafter und der Richterbund verweisen immer wieder auf das eigentliche Sicherheitsproblem: dass es bei Polizei und Justiz viel zu wenig Personal gibt. Das zweite große Problem der Zauberformel zur Sicherheit sind ihre giftigen Nebenwirkungen. Anlasslose Überwachung und Kontrolle führen dazu, dass der Staat immer größeren Zugriff auf die Privatsphäre der Bürger bekommt. Wie schnell dieser Trend - auch in einem demokratischen Rechtsstaat - in Paranoia umschlagen kann, sieht man am Beispiel der USA. Der nach dem 11. September 2001 verabschiedete "Patriot Act" hat dort zu dem unfassbaren Ausmaß an Überwachung der Bürger geführt, das Ex-Geheimdienstmitarbeiter Edward Snowden 2013 offengelegt hat. Und dann ist da die Diskriminierung. Wer regelmäßig mit dem Zug aus Österreich nach Bayern fährt, der erlebt, dass bei der Schleierfahndung vor allem Menschen kontrolliert werden, die nicht dem Bild eines typischen Mitteleuropäers entsprechen. Es ist im Gesicht der Kontrollierten zu sehen, wie sehr sie das demütigt: seit Jahren unbescholten in Deutschland zu leben, vielleicht Deutscher zu sein - aber bei einer Polizeikontrolle trotzdem immer wieder dranzukommen, während der hellhäutige Sitznachbar unbehelligt bleibt. Freilich, Methoden wie die Schleierfahndung bringen Erfolge. Sie führen regelmäßig dazu, dass Straftäter gefasst werden. Aber mit diesem Argument alleine kann nicht jeder Eingriff in die Grundrechte gerechtfertigt werden. Staatliche Kontrolle versus persönliche Freiheit, das ist ein Kompromiss, der in einem Rechtsstaat immer wieder neu ausgehandelt werden muss. Anders gesagt: Es gibt keine Zauberformel für mehr Sicherheit.
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