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Mittelbayerische Zeitung: Kommentar zum Flüchtlingsgipfel in Paris, Autorin: Claudia Bockholt

Regensburg (ots)

Die Spitzen der Bundesparteien treffen sich an einem bedeutsamen Datum auf dem Gillamoos: Am 4. September, also genau zwei Jahre, nachdem Angela Merkel die Grenzen für Flüchtlinge geöffnet hat. Zwei Jahre, an deren Ende die Bundespolitik in der Flüchtlingsfrage zwar sehr langsam, aber eben doch unausweichlich in der Wirklichkeit angekommen ist. Im Abensberger Bierzelt wird heuer nicht einmal mehr der Grüne Cem Özdemir fordern, wirklich allen Menschen, die gerne nach Deutschland immigrieren würden, die Türen zu öffnen. Hunderttausende warten in Nordafrika auf eine Chance, nach Europa überzusetzen. Ihre Hoffnung ist groß, aber verschwindend klein die Bereitschaft der Europäer, sie aufzunehmen. Der neuerliche Deal zur Abschottung, nach der Türkei nun mit Libyen und weiteren Ländern Nordafrikas, ist eine unappetitliche Kröte. Deutschland wird sie schlucken. "Eine Situation wie die des Sommers 2015 kann, soll und darf sich nicht wiederholen", hat Angela Merkel im Dezember 2016 beim CDU-Parteitag erklärt. Als hätte sie nichts damit zu tun gehabt. Daraus spricht dieselbe verblüffende Nonchalance, mit der sie jetzt in einem Interview mit der "Welt" erklärt, dass sie "alle wichtigen Entscheidungen des Jahres 2015 wieder so treffen" würde. So blendet die Kanzlerin die Widersprüchlichkeit ihrer Politik einfach aus - und stellt zugleich sicher, dass ihr nicht kurz vor der Wahl der Nimbus der humanitären Staatsfrau abhanden kommt, der ihr bei SPD und Grünen viele neue Freunde verschafft hat. Parallel arbeitet sie insgeheim daran, Migranten schon weit vor der europäischen Haustür abfangen zu lassen. Den Masterplan dafür liefert das EU-Türkei-Abkommen, das trotz wachsender Kritik an der Regierung Erdogan Bestand hat. Die Türkei hat die Balkanroute zuverlässig abgeriegelt und versorgt - unterstützt von Hilfsorganisationen - die Flüchtlinge in den grenznahen Lagern mit dem Nötigsten. So wird u. a. zwar längst nicht allen, aber doch vielen Kindern ein Schulbesuch ermöglicht. Deutschland lässt sich das eine halbe Milliarde Euro pro Jahr kosten. Insgesamt soll die Türkei bis 2018 sechs Milliarden Euro erhalten. Bislang gibt es zwar viel Misstrauen, aber keinen konkreten Hinweis darauf, dass die EU-Gelder in dunklen Kanälen versickern. Bei den nun ins Auge gefassten Abkommen mit Nordafrika ist die Gefahr ungleich höher. Im Vorfeld des Pariser Flüchtlings-Gipfels erklärte Frankreichs Präsident Macron, man wolle "die Unterstützung Europas (...) bei der Kontrolle und gesteuerten Verwaltung der Migrationsströme unterstreichen" und auf diese Weise "Schritt für Schritt die illegale Migration reduzieren". Selbst in Deutschland, einem gewiss bestens organisierten Land, hat sich die "gesteuerte Verwaltung" der Migrationsströme als schwieriges Unterfangen erwiesen. Wenn das in Nordafrika funktionieren soll und gleichzeitig die Menschenrechte gewahrt bleiben sollen, werden riesige Summen und Anstrengungen nötig sein. Nur die Macht des Geldes und das vereinte Europas sind imstande, selbst einem Erdogan - etwa in Bezug auf seine bislang unerfüllte Forderung nach Visafreiheit - Zügel anzulegen. Das muss auch in Libyen gelingen. Europa kann und muss jeden Cent Flüchtlings-, aber auch Entwicklungshilfe an strenge Kriterien knüpfen. Dann ist am Ende auch denen geholfen, die jetzt noch vor wirtschaftlichem Niedergang, Korruption, Bürgerkrieg und Terrorismus fliehen. Der Preis ist nicht zu hoch. Mit fast 94 Milliarden Euro "asylbedingten Kosten" bis 2020 kalkuliert allein der Bund für die Flüchtlinge und Migranten, die bereits in Deutschland angekommen sind. Bei einem Deal mit Afrika behält Deutschland keine blütenweiße Weste. Jeder Redner, der dies nächste Woche beim Gillamoos als unanständig anprangert, wird aber erklären müssen, wie es in der wirklichen Welt anders funktionieren kann. Bloßer Idealismus hilft nicht weiter.

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