Mittelbayerische Zeitung: Egal ist nichts
Wer glaubt, dass es keinen Unterschied macht, ob oder wen man wählt, macht einen großen Fehler.
Regensburg (ots)
Ja, Sie könnten jetzt einfach weiterblättern. Sie könnten auch am Sonntag einfach etwas anderes machen, als wählen zu gehen. Das Wetter soll besser werden, und was am Abend passiert, das ist ohnehin schon klar. Um 18 Uhr kommen die Hochrechnungen, der Sieger, der zweite Sieger (oder erste Verlierer, je nach Lesart) stehen doch eh schon fest und dass es auf Platz drei Überraschungen geben dürfte, haben Sie auch schon gelesen, gehört und gesehen in Talkshows, im Netz, in der Zeitung. Also was soll das Ganze? So kann man denken. Nur wäre das ein Fehler. Ein ganz erheblicher. Bis zu 40 Prozent der Wähler sind offenbar noch unsicher, wen sie wählen sollen. Das ist eine enorme Zahl, und selbst, wenn es nur 25 Prozent sind, sind das immer noch genügend Menschen, deren Stimmen einen entscheidenden Ausschlag in die eine oder in die andere Richtung geben werden - sofern sie denn alle zur Wahl gehen. Und das sollten sie. Es ist nicht so, dass alles einfach immer so weitergehen wird wie bisher. Wer hätte denn 2013 gedacht, dass nur zwei Jahre später Deutschland von einer heftigen Debatte über Flüchtlinge gebeutelt wird? Wer hätte gedacht, dass diese Debatte eine Veränderung der politischen Landschaft bewirken könnte? Wer hätte gedacht, dass die Briten ernsthaft für einen Ausstieg aus der Europäischen Union stimmen würden und damit eine Frage über die Zukunft der Gemeinschaft gestellt haben, die immer noch nicht beantwortet ist? Wer hätte ernsthaft damit gerechnet, dass in den USA eine politisch völlig unbeleckte Person Präsident werden würde, die zu allem Übel auch noch in der UN-Vollversammlung Reden über die Vernichtung eines anderen Landes schwingt? Gerade aber der Brexit und der Sieg von Donald Trump sind die Beweise dafür, dass erstens Umfragen im besten Fall Momentaufnahmen vor einer Wahl sind und dass zweitens die Wähler doch weitgehend unbekannte Wesen sind, die zunehmend mit dem Bauch entscheiden. Seit der Abstimmung in Großbritannien und nach der Wahl in den USA wissen wir auch, wie leicht Menschen manipulierbar sind. Der Glaube an falsche Versprechen und Fake News haben die Illusion der Vorhersehbarkeit endgültig zerstört. Alles ist möglich, nichts sicher. Nun ist Deutschland nicht Großbritannien und die Medienlandschaft und die Mediennutzung der US-Bürger sind anders als die ihrer deutschen Konterparts. Das ist vielleicht ein Grund, nicht ganz so pessimistisch auf den Wahlsonntag zu blicken. Von verdeckten Medienkampagnen für oder gegen Parteien oder Kandidaten ist Deutschland verschont geblieben. Fake News in den sozialen Netzwerken blieben meist ihrer Zielgruppe vorbehalten. Das aber heißt nicht, dass es keine Verführungen, gezielte Provokationen oder bewusste Eklats gab in diesem Wahlkampf. Das aber muss und das wird unsere Demokratie aushalten. Was sie schwer aushalten wird, ist, wenn dieser kurze, teils alberne, meist verschlafene und nur selten hitzige Wahlkampf dazu geführt hat, dass viele der Unentschlossenen am Sonntag daheim bleiben. Denn auch, wenn es nicht so scheint: Es geht um etwas. Es geht darum, wie wir in unserer sich immer schneller wandelnden Gesellschaft leben werden. Wie wir es schaffen, die Rentner nicht in die Armut abrutschen zu lassen, während wir Neuangekommene aus vielen Ländern integrieren. Wie wir es schaffen, bezahlbare Wohnungen für alle bereitzustellen. Es geht um die Sicherung des sozialen Friedens in Deutschland, aber auch um die Sicherung des Friedens in Europa; wir alle haben all zu gerne den Krieg in der Ostukraine verdrängt. Es geht um die Zukunft des Kontinents, der von Zweifeln zerrissen und von Populisten zerredet wird. Es geht um den Frieden in der Welt, den ein zeternder Realitätsverdreher ebenso gefährdet, wie ein unberechenbarer Diktator. Deutschland steht vor vielen Fragen. Die Antworten darauf werden Menschen geben, die von Ihnen mit dem Mandat dazu ausgestattet werden. Wenn Sie denn zur Wahl gehen. Tun Sie es. Ihre Stimme zählt.
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