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Mittelbayerische Zeitung: Kommentar zu den gescheiterten Sondierungsverhandlungen, Autor: Christian Kucznierz

Regensburg (ots)

Es gab einmal sogenannte Radio-Eriwan-Witze. Ihr Ziel war es, in der Form von fiktiven Anfragen an einen fiktiven Radiosender den Menschen die Absurdität des Sozialismus vor Augen zu führen. Einer dieser Witze ging so: "Wäre die Katastrophe von Tschernobyl vermeidbar gewesen? Antwort: Im Prinzip ja. Wenn nur nicht die Schweden alles ausgeplaudert hätten." Nun ist die gescheiterte Sondierung für ein mögliches Jamaika-Bündnis kein Grund zur Freude oder Gegenstand für Witze. Nur teilt sich die politische Lage in Deutschland mit Radio-Eriwan-Witzen den Stil und die Absurdität: Ist Jamaika möglich? Im Prinzip ja. Wenn es nicht die Parteien gäbe. Es ist einfach, den Schwarzen Peter den Liberalen zuzuspielen. Sie waren es, die die Verhandlungen kurz vor Mitternacht verließen und damit die Chance einer neuen Regierungskoalition auf Bundesebene beerdigten. Aber vielleicht waren sie auch nur diejenigen, die aus dem Murks, der da seit vier Wochen aufgeführt wurde, noch am ehesten Kapital zu schlagen wussten. "Wir sind die Prinzipientreuen", schreiben sich Christian Lindner und Co. auf die Fahnen (und werden dafür gescholten). Dabei verhielten sich CDU, CSU und Grüne kein bisschen anders. Sie hatten nur ganz offenbar keine Lust, ehrlich zu sein und zu sagen: "Wir haben keine Lust mehr, Kompromisse einzugehen." Dass die Reise nach Jamaika keine All-Inclusive-Luxus-Club-Veranstaltung wird, war von Anfang an klar. Es war aber irgendwann so eindeutig, dass - um im Bild zu bleiben - nicht einmal der Tomatensaft im Flieger vorhanden war, um die Aussicht auf einen Urlaub in einer kaum bewohnbaren Hotelbaustelle abzumildern. Keine Bewegung in den großen Streitthemen, kein Wille, die Chance eines solchen ungewöhnlichen Bündnisses positiv zu verkaufen. Nichts an Jamaika war attraktiv, glaubte man den Äußerungen der Parteien. Es war, als warte man darauf, wer als Erster aufgibt. Um dann mit dem Finger auf ihn zu zeigen. Prinzipien sind in der Politik wichtig. Es waren vor allem bei der FDP Prinzipien, die der Partei zurück in den Bundestag verhalfen, und zwar ur-liberale. Sie aufzugeben wäre für Parteichef Lindner gleichbedeutend mit politischem Selbstmord. Dasselbe gilt für einen ohnehin um sein politisches Überleben kämpfenden CSU-Chef Horst Seehofer, dasselbe gilt für die überraschend stark aus der Wahl hervorgegangenen Grünen. Und die Kanzlerin? Angela Merkel war es am Ende wurst, wer unter ihr koaliert. Ihre Appelle für ein Durchhalten waren spät und wenig überzeugend. Nun wird es an ihr sein. die Scherben aufzuheben. Dabei kann es nur Neuwahlen oder eine Minderheitsregierung geben, so scheint es zumindest. Denn noch eine andere reitet Prinzipien: die SPD. Niemand kann es Martin Schulz verdenken, dass er seiner Partei eine Radikalkur gönnen will, nachdem sie in der Umarmung durch Merkels Union wenn nicht erstickt, so zumindest leichenblass und immer kränker wurde. Und warum sollte die SPD nun ihr Prinzip der Kompromisslosigkeit aufgeben, nur weil die anderen auch nicht bereit waren, ihre Prinzipien über Bord zu werfen? Man kann an seinen Grundsätzen festhalten, so lange man will. Für das eigene Überleben oder Wohlergehen sind feste Standpunkte sogar unabdingbar. Aber wenn in der Politik alle an ihren Positionen festhalten, müssten Parteien immer alleine regieren. Die Zeiten sind vorbei (außer in Bayern, aber auch das ist nur eine Frage der Zeit, blickt man auf das erbärmliche Bild, das die CSU derzeit abgibt). Brauchen wir also Neuwahlen? Im Prinzip ja. Aber dann müsste die SPD die große Koalition wollen, die sie unter ihrer jetzigen Führung ablehnt. Wobei: Könnte es sein, dass spätestens nach einer Neuwahl die Parteien neue Vorsitzende bräuchten? Im Prinzip ja.

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