Mittelbayerische Zeitung: Kommentar zur Wartezeit für Politiker vor einem Wechsel in die Wirtschaft. Autor: Bernhard Fleischmann
Regensburg (ots)
Abkühlen lassen ist immer gut, wenn man sich nicht Mund oder Hände verbrennen will. Aus gutem Grund gibt es auch eine Abkühlphase für Politiker, die in die Wirtschaft wechseln. Diese Karenzzeit soll verhindern, dass Unternehmen und Politiker unangemessen voneinander profitieren. Das funktioniert aber keineswegs überzeugend. Das entsprechende Gesetz lässt zu viel Spielraum. Die Wechsel der abgewählten Ministerpräsidenten Torsten Albig und Hannelore Kraft geschehen nach einer zu kurzen Abkühlphase. Sie sind sozusagen noch zu heiß. Es stellt sich stets die Frage: Ist das Insiderwissen noch zu frisch, um nicht für das Unternehmens nützlich zu sein? Oder/und waren die Kontakte zum Unternehmen schon während des politischen Mandats so intensiv, dass in der Amtszeit ein Einfluss wirksam wurde? Hannelore Kraft zieht in den Aufsichtsrat des Steinkohlekonzerns RAG ein. Das passt insofern zusammen, als die SPD dem Bergbau mit seiner Arbeiterschaft immer nahe stand. Dass Kohleabbau und ihre Verstromung in einer modernen und ökologisch tragbaren Energiepolitik nichts verloren haben, gilt den Genossen vielfach als nachrangig. Inzwischen ist RAG dennoch so weit, die letzten beiden Bergwerke im Ruhrgebiet zu schließen. Das liegt aber nicht daran, dass die Ex-Ministerpräsidentin darauf hingewirkt hätte. Wandel galt ihr stets als Verunsicherung der Wähler, weshalb diese sie unter dem Eindruck des Stillstands in NRW im Mai mit Schwung und Recht in den politischen Ruhestand geschickt haben. Was qualifiziert Kraft eigentlich zur RAG-Aufsichtsrätin? Wird sie für die RAG wertvoll sein? Mitunter scheint es so, dass sich Unternehmen dazu genötigt sehen, zur politischen Entsorgung anstehende Personen aufzunehmen. Da steht die Erwartung im Raum, man werde dafür irgendwann bei passender Gelegenheit von den Regierenden belohnt. In Bayern fiel Beobachtern bei manchen Wechseln beim besten Willen keine andere Erklärung ein. Aber es gibt auch andere Kaliber. Wie Matthias Wissmann. Der ehemalige Bundesverkehrsminister führt seit zehn Jahren den Verband der Deutschen Automobilindustrie. Zwar stieß die Branche schon immer in jeder Regierung auf offene Ohren. Aber seit Wissmann den VDA lenkt, hat man den Eindruck, wo er ist, ist immer ein Weg; oder eher eine achtspurige Autobahn für die Interessen der Autobauer. Als Wissmann sagte, gerade für die deutschen Autofabrikanten wäre es anstrengend, härtere Schadstoffgrenzen einzuhalten - zack, legte Kanzlerin Angela Merkel wie selbstverständlich ein Blockade-Veto in Brüssel gegen entsprechende Gesetzesvorhaben ein. Ob Daniel Bahr vom Gesundheitsminister zur Allianz Private Krankenversicherung, Dirk Niebel vom Entwicklungsministerium zu Rheinmetall, Ronald Pofalla vom Kanzleramt zur Bahn, Werner Müller zu Ruhrkohle/Evonik, Friedrich Fahrenschon vom Finanzminister zum Sparkassenverband - es gibt so viele Beispiele, die sich nach allen gefühlten Regeln des Anstands verbieten. Da mag es immer zuverlässig eine öffentliche Empörung geben - sie bewirkt nichts. Denn der Nutzen der Betroffenen ist ungleich größer als der sowieso nur temporäre Imageschaden. Wechsel von der Politik in die Wirtschaft sind nicht per se verwerflich. Aber klare und strenge Regeln sind nötig. Das Gesetz ist zu zahm. Die Bundesregierung kann bei einem Interessenkonflikt eine Karenzzeit von zwölf, in Ausnahmen von 18 Monaten verhängen. Besser wäre eine Muss-Regelung, die über ein Jahr hinausgeht. Verboten sollte sein, schon während der Amtszeit über den Job danach zu verhandeln. Und es sollte nicht das Kabinett entscheiden dürfen, sondern ein unabhängiges Gremium.
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