Mittelbayerische Zeitung: Kommentar zum "Treffen von Union und SPD"
Regensburg (ots)
GroKo, KoKo, Kokolores. Die derzeitige Hängpartie um die Regierungsbildung in Deutschland treibt absurde Blüten. Oder um es frei nach dem Münchner Urgestein Karl Valentin zu sagen: Mögen hätten sie schon wollen, aber dürfen haben sie sich nicht getraut. Dabei ist das, was die abwartende Union und die zutiefst zaudernde SPD gerade aufführen, alles andere als komisch. Es geht um nicht mehr und nicht weniger als um die politische Verantwortung für Deutschland für die nächsten vier Jahre. Ob das den Obertaktierern und Immer-neue-Modelle-Erfindern in den Parteizentralen und im Kanzleramt mal jemand sagen könnte? Dabei ist die Ausgangslage für beide Seiten freilich alles andere als rosig. Die bisherigen Partner der Berliner Groß-Koalition haben bei der Bundestagswahl am 24. September gehörig eins auf die Mütze bekommen. Fast 15 Prozent Verlust an Wählerstimmen für beide politischen Lager - die Union ließ sogar noch mehr Federn als die Sozialdemokraten - sind bitter. Und offenbar auch eine Quittung für bräsiges, zuweilen sogar für "alternativlos" erklärtes Regierungshandeln von oben herab, ohne die Menschen mitzunehmen. Viel Frust hat sich etwa an Angela Merkels Flüchtlingspolitik festgemacht. War die spontane Aufnahme von Kriegsflüchtlingen, die in Ungarn gestrandet und dort nicht versorgt worden waren, noch als humanitärer Akt zu rechtfertigen, so waren es monatelang offene, unkontrollierte Grenzen keineswegs. Die Rolle rückwärts, die die CDU-Chefin, getrieben von der bayerischen Schwesterpartei und der Kraft der faktischen Probleme, danach unternahm, war nicht sonderlich überzeugend. Merkels Politik hat ausgerechnet in tief konservativen Wählerschichten Spuren hinterlassen. Das Mantra der Union seit diesen Erfahrungen lautet: 2015 darf sich nicht wiederholen. Nur vertrauen zahlreiche Wähler und Wählerinnen diesem Versprechen nicht. Sie wählen stattdessen lieber die Alternative für Deutschland, die im Grunde nur dieses eine Thema hat und selbst dafür keine wirklichen Lösungen anbietet. Die AfD ist Protest pur. Das reichte allerdings aus, um der Union das Fürchten zu lehren. Horst Seehofers Gegengift gegen den politischen AfD-Virus lautet: Obergrenze. Doch mit dem, inzwischen verklausulierten, Festhalten an einer strikten Zuwanderungsbegrenzung für Flüchtlinge und Asylsuchende erschwert die Union ein erneutes Zusammenkommen mit dem Noch-GroKo-Partner SPD immens. Die ganze Obergrenzen-Debatte kulminiert derzeit in der Frage des Familiennachzugs für Kriegsflüchtlinge ja oder nein. Dabei wäre mit dem festen Willen zum tragbaren Kompromiss auch diese Hürde aus dem Weg zu räumen. Mit einem Bündel von Maßnahmen, die den hochaufgeladenen politischen Konflikt herunter dimmen, könnten Union, SPD, aber auch die betroffenen Flüchtlinge sicher leben. Es wird in den - hoffentlich folgenden - Gesprächs- und Sondierungsrunden nun vor allem darauf ankommen, den Konflikten, den politischen Widersprüchen zwischen beiden Seiten die Schärfe zu nehmen, Wogen zu glätten, vernünftige Kompromisse für das Land zu finden. Den möglichen Regierungspartnern müsste dabei eigentlich klar sein, dass sie nicht 100 Prozent ihres jeweiligen Wahlprogramms umsetzen können. Weder CDU/CSU noch SPD. Dass beide Seiten gestern Abend erst einmal geheim ausloteten, ob eine Zusammenarbeit überhaupt möglich ist, war indes ein gutes Signal. Nach der Schwatzbude Jamaika, wo kaum einer, eine den Mund halten und das Twittern seinlassen konnte, spricht das nun zumindest für mehr Ernsthaftigkeit. Ob daraus freilich mehr wird, ob ernsthaft gesprochen, sondiert und schließlich über eine neue Regierung verhandelt wird, werden die nächsten Tage und Wochen zeigen. Vielleicht trauen sie sich ja doch noch. Es ist Zeit, Verantwortung zu übernehmen.
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