Mittelbayerische Zeitung: Yücel kann nur ein Anfang sein
Ein Kommentar der Mittelbayerischen Zeitung zur Freilassung des Journalisten
Regensburg (ots)
Endlich! Nach über einem Jahr Gefängnis, viele Monate davon in Einzelhaft, ist der Journalist Deniz Yücel gestern frei gekommen. Damit endet vorerst das Märtyrium eines mutigen Berichterstatters, dessen einziges "Verbrechen" darin bestand, auch mit Gegnern des Erdogan-Regimes zu sprechen, über sie zu schreiben und anderer Meinung als der selbst ernannte Herrscher vom Bosporus zu sein. Lange war um die Freilassung Yücels auf allen diplomatischen Ebenen zwischen Berlin und Ankara gerungen worden. Außenminister Gabriel hat den Fall mehrfach mit seinem türkischen Amtskollegen besprochen. Auch unter vier Augen. Ebenso hat die Kanzlerin jede Gelegenheit genutzt, um Präsident Erdogan persönlich auf diese Belastung des deutsch-türkischen Verhältnisses anzusprechen. Allerdings ist nicht vergessen, dass noch vor wenigen Monaten Erdogan den Welt-Journalisten als Terroristen abgestempelt hatte, der nicht freikommen werde, solange er Präsident sei. Er tat das offenbar aus innenpolitischem Kalkül heraus. Und regierungsnahe Medien in der Türkei unternahmen alles, um Yücel in die Nähe von Staatsterroristen zu rücken. Dann jedoch verdichteten sich in den vergangenen Wochen die Andeutungen aus türkischen Regierungskreisen, dass er doch frei gelassen werden könnte. Zu den Nebelkerzen, die von türkischer Seite geworfen wurden, zählte wohl auch die Erklärung von Ministerpräsident Binali Yildirim am Donnerstag in Berlin, dass das Verfahren gegen Yücel von der Justiz beschleunigt würde. Da stand dessen Freilassung offenbar bereits fest. Doch als "Geschenk" an die deutsche Kanzlerin wollte Yildirim den Fall wohl nicht mitbringen. Zumindest der Schein einer unabhängigen türkisichen Justiz sollte mit der Verzögerung von 24 Stunden gewahrt bleiben. Yücel saß gewissermaßen in politischer Geiselhaft, wurde zum Spielball Ankaras. Zumindest das ist vorbei. Ganz sicher war die Freilassung zum jetzigen Zeitpunkt auch ein wohlkalkulierter Schritt Ankaras. Erdogan will die internationale Isolation durchbrechen, in die er das Land in den vergangenen zweieinhalb Jahren selbst manövriert hat. Da macht sich ein solch "großmütige" Geste gut, mag der Präsident glauben. Offenbar trug auch der internationale Druck auf die Türkei sowie ein drohendes Urteil des Menschengerichtshofes Früchte. Der Fall Yücel geriet nie aus den Schlagzeilen. Die Freude über die Freilassung des prominenten Journalisten wird dadurch getrübt, dass die türkischen Gefängnisse voll sind mit Kritikern des Erdogan-Regimes. Rechtsstaatliche und transparente Verfahren werden ihnen verweigert. Es herrscht politische gesteuerte Willkür. Die Menschenrechtslage im Nato-Partnerland Türkei ist weiterhin dramatisch schlecht. Am Abbau der Demokratie, an der Aushöhlung des Rechtsstaates und der Unterwanderung der Gewaltenteilung ändert sich leider nichts. Doch so lange die Türkei nicht zu jenen rechtlichen Standards zurückkehrt, zu denen sie sich als Mitglied des Europarates und der OSZE selbst verpflichtet hat, kann es keine Normalisierung der Beziehungen zu Ankara geben. Es war Deniz Yücel selbst, der vor einem schmutzigen Deal um seine Person warnte. Nach allem, was bisher öffentlich wurde, hat es ein politisches Geschäft, etwa Freilassung gegen Rüstungslieferungen aus Deutschland, nicht gegeben. Es wäre auch ein Aberwitz, wenn Berlin für die kleine Geste Ankaras weitere Panzer liefern würde, mit denen die türkische Armee gegen Kurden vorgeht. Nicht nur im Norden Syriens. Der offene, direkte Konflikt mit den USA in dieser Region scheint für erste jedoch durch die Diplomatie von Außenminister Rex Tillerson abgewendet worden zu sein. Doch die Lage bleibt, trotz des Lichtblicks Yücel, hochexplosiv.
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