Mittelbayerische Zeitung: Kommentar zur GroKo
Regensburg (ots)
Bitte nur für den Übergang
von Bernhard Fleischmann
Hurra, wir leben noch. Was war das für Staatskrise! Puh, nun ist es gerade noch mal gut gegangen. Die Zeit des Bangens, der Ungewissheit ist vorbei. Deutschland kann wieder regiert werden. Von nun an geht es voran. Oder? Nun ja, irgendwie schon. Aber so sehr sich auch viele Bürger endlich stabile Verhältnisse gewünscht haben - sie werden vorübergehend sein. Die Neuauflage der Koalition ist der Beginn einer Übergangsregierung. Sie sollte nicht vier Jahre weiterbestehen und auf gar keinen Fall dann noch einmal fortgesetzt werden. Denn sobald die Bürger überzeugt sind, dass sie wählen können, was sie wollen, am Ende bekommen sie die zwei Altparteien serviert, könnten sie noch mehr alles Mögliche wählen - aber bloß nicht Union oder gar SPD. Die Tür würde sich weiter öffnen für radikale Egomanen, wie es in einigen Nachbarländern längst passiert ist. Deshalb sollten wir uns eine begrenzte Regierungszeit dieser GroKo wünschen. Was aktives Regierungshandeln betrifft, ist in den vergangenen Monaten wenig passiert, klar. Aber das Staatskrisengerede darf man als Alarmismus abhaken. Nein, wir hatten keine Staatskrise. Wir hatten fließend Wasser, Strom, wurden nicht von wilden Horden überrannt, die Bahn verkehrte kaum unzuverlässiger als zuvor, der BER wurde teurer, Polizei und Justiz taten ihre Arbeit. Alles wie gehabt. Das wäre auch dann so geblieben, wenn sich die Union auf eine Minderheitsregierung eingelassen hätte. Diese hätte wahrscheinlich eine begrenzte Lebensdauer gehabt, aber daran wäre Deutschland nicht zugrunde gegangen. Nun rühmen die Befürworter die Neuauflage der GroKo als einzig pragmatische Lösung. Für all jene, die an morgen denken, ist das eine sehr plausible Argumentation. Für viele, die an übermorgen denken, türmen sich nach wie vor die Zweifel. Denn es fehlt der Glaube an die Kraft von Union und SPD, während eines Regierungsbündnisses in den Zwängen des ständigen Kompromisses eine neue, klare Identität zu finden. Die ist jedoch nötig. Die Menschen sehnen einen Wandel herbei. Das tun nicht nur die Radikalen und die Populisten. Vielmehr geht es auch der großen Mehrheit der Bürger mit moderaten politischen Ansichten so. Zwar lebt die überwiegende Mehrheit in zufriedenstellenden Verhältnissen. Die Wirtschaftsdaten zeigen Bestwerte an. Aber die meisten Menschen, die mit gewöhnlicher Arbeit ihren Lebensunterhalt verdienen, verharren in Stagnation, viele fallen zurück. Es ist das Versprechen verloren gegangen, dass es - ein Grundbedürfnis - für sie eines Tages aufwärtsgehen wird. Das Gefühl, es ginge gerecht zu, erodiert mehr und mehr. Martin Schulz hatte die richtige Idee, mit diesem Thema in den Wahlkampf zu starten. Die Partei hat ihn aber auf halbem Weg eingebremst und die Diskussion darüber zerfranst. Die Ironie liegt nun darin, dass der Koalitionsvertrag in großen Teilen ein SPD-Vertrag geworden ist. Nur hat sich die SPD schon zuvor von ihren vorübergehend großen Gerechtigkeitszielen wieder gelöst. Merkel hat die Union für ihre Kanzlerschaft verkauft. Das nimmt ihr die CDU zwar übel, aber so richtig in revolutionäre Wallung ist die Partei darob auch nicht gelangt. Ein duldsames Parteivolk. Und die SPD hat Merkel mit ihrem Votum nun auch das politische Überleben gesichert. Mit dem Ja vom Sonntag hat sich die SPD eine unmittelbare Zerreißprobe erspart. Aber auf lange Sicht hat sie noch nicht gewonnen. Was wäre, wenn die SPD in der GroKo zur Kleinpartei verdampft? In der Wirtschaft teilen sich die Wettbewerber die Märkte eines Pleite-Unternehmens auf. Grüne, Union und Linke könnten sich jeweils einzelne Bruchstücke einverleiben. Oder es formt sich eine linke Sammlungsbewegung, wie sie Sarah Wagenknecht vorschwebt. Wahrscheinlich werden wir in zehn Jahren die Parteienlandschaft von heute kaum wiedererkennen. Das kann auch positiv sein und schlicht einen Wandel abbilden. Momentan sieht es leider nicht danach aus.
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