Mittelbayerische Zeitung: Freiheit ist stärker als Angst
Kommentar der Mittelbayerischen Zeitung, Regensburg
Regensburg (ots)
Um die Novelle des PAG angesichts der großen Proteste durchzuziehen, schürt die CSU Ängste und diffamiert politische Gegner. Doch es ist fraglich, ob ihre Rechnung aufgeht.
An Christi Himmelfahrt protestieren mindestens 30 000 Bürger gegen das geplante Polizeiaufgabengesetz (PAG) - und Joachim Herrmann hat nichts Besseres zu tun, als sie zu verunglimpfen. Die CSU will bei der Landtagswahl der AfD die Wähler abjagen. Dafür nimmt sie in Kauf, massiv Ängste zu schüren und politische Gegner mit aggressiver Rhetorik zu überziehen. Doch ihre Rechnung scheint nicht aufzugehen. Die Staatsregierung hat die Wucht des Protests gegen die PAG-Novelle unterschätzt und fühlt sich in der Defensive. Dass sie nicht vor Bürgerbeschimpfung zurückschreckt, zeigt, dass ihr Parteipolitik wichtiger ist als die Achtung des demokratisch verbrieften Demonstrationsrechts. In der Logik der CSU ist bei den Protestierenden bei der Wahl nichts zu holen. Doch Herrmanns Entgleisungen sollten auch CSU-Anhänger aufbringen. Schließlich ist die inhaltliche Auseinandersetzung um gesellschaftliche Entscheidungen Zeichen einer lebendigen Demokratie. Doch die CSU will die PAG-Novelle möglichst widerstandslos durch den Landtag peitschen und sich bundesweit als sicherheitspolitische Musterschülerin feiern lassen. Deshalb setzt sie auf Scheindebatten wie die, die Verfassungsmäßigkeit von Demonstrationsteilnehmern anzuzweifeln. Das gesellschaftlich breite Spektrum des "NoPAG"-Bündnisses, bei dem Gewerkschaften, Jugendorganisationen, der bayerische Journalistenverband, FDP- und DKP-Anhänger friedlich Seite an Seite protestieren, zeigt, wie fadenscheinig Herrmanns Argument ist. Schon die wirkungsvollste Nebelkerze der CSU, der "Kreuz-Erlass", hat nicht so gut funktioniert, wie die Partei sich das vorgestellt hat: Mit der Aktion sollte die gesellschaftliche Aufmerksamkeit weg von PAG und Psychiatrie-Gesetz gelenkt werden. Zwar war die Aufregung um die Kreuze groß. Doch viele Menschen lassen sich nicht den Blick vernebeln: In Zeiten gesunkener Kriminalität wollen sie den hohen Preis steigender staatlicher Überwachung nicht in Kauf nehmen. Sie wissen, dass es bei der Neuregelung des PAG um die Beschneidung von Bürgerrechten geht. Diese stehen im härtesten Polizeigesetz der Nachkriegszeit vor allem durch den unscharfen Rechtsbegriff der "drohenden Gefahr" infrage. Die Polizei muss nicht mehr wie früher eine "konkrete Gefahr" begründen, bevor sie Telefone überwachen oder verdeckt ermitteln kann. "Drohende Gefahr" legitimiert sie, DNA-Abstriche auszuwerten - ebenso wie Briefe und Pakete. Dies sind weitreichende Eingriffe in Grundrechte, deren Voraussetzungen nicht eindeutig definiert sind. Die "verlängerte Präventivhaft" ohne festgelegte Höchstdauer ruft Erinnerungen an den Fall Mollath wach. Hier zeigt sich die Konsequenz eines politischen Rechtsrucks: Zunächst verschärft der Staat die Regeln im Umgang mit Geflüchteten, nun beschneidet er auch die Freiheitsrechte von Staatsbürgern. Ob die CSU mit ihrer Novelle durchkommt, entscheiden wohl bald Gerichte. Rechtsexperten bezweifeln, dass das PAG mit der bayerischen Verfassung bzw. dem deutschen Grundgesetz zu vereinbaren ist. Wegen der Proteste musste die CSU sowohl beim Psychiatriegesetz als auch beim PAG bereits nachbessern. Dennoch sind beide Gesetze vom Misstrauen gegen die Bürger geprägt. Es gäbe eine Alternative, mit Verunsicherung vor Terrorismus und Kriminalität umzugehen. Die Antwort eines demokratischen Staates kann auch mehr Offenheit und Demokratie sein. So sagte es Norwegens Ministerpräsident Jens Stoltenberg, als der rechtsextreme Terrorist Breivik 77 Menschen erschoss. Doch auf verbale und Gesetzes-Kraftmeierei zu verzichten, ist nicht die Sache der CSU. Vor allem wenn sie glaubt, die AfD klein zu halten, indem sie sich deren Positionen zu eigen macht. Doch die Partei sollte ihre Strategie überdenken. Auch Wähler aus der bürgerlichen Mitte spüren, dass die Staatsregierung an ihren Bürgerrechten rüttelt. Sie werden sich bei der Wahl im Herbst daran erinnern.
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