Mittelbayerische Zeitung: Leitartikel zum Bamf: Versagen von ganz oben von Reinhard Zweigler
Regensburg (ots)
Am Tag der Sündenvergebung Jom Kippur übertrug der jüdische Hohepriester durch Handauflegen die Sünden des Volkes Israel symbolisch auf einen Ziegenbock. Das Tier wurde dann in die Wüste gejagt und nahm die Sünden der Menschen mit sich. Glaubte man zumindest nach der biblischen Überlieferung. Das Nürnberger Bundesamt für Migration und Flüchtlinge ist für viele derzeit der Sündenbock, der stellvertretend für die vielen unerklärlichen Fehler, für die wirklichen oder bloß vermeintlichen Schlampereien in der Asyl- und Flüchtlingspolitik in die Wüste geschickt werden soll. Aber das ist viel zu einfach, viel zu kurz gegriffen. Die jetzt zu Tage tretenden Ungeheuerlichkeiten in einer wichtigen Bundesbehörde haben ihre tieferen Ursachen nicht nur im persönlichen Fehlverhalten von einigen Mitarbeitern, Beamten, Leitern innerhalb des Bamf, sondern sind ein Versagen von ganz oben. Nicht erst seit dem Spätsommer 2015 als Hunderttausende Kriegsflüchtlinge und Asylbewerber - monatelang unkontrolliert - nach Deutschland kommen konnten, sondern bereits zu Beginn der Kriege in Syrien und im Irak, musste in Kanzleramt und Bundesinnenministerium klar sein, dass das Bamf in seiner bisherigen Struktur und Arbeitsweise diesem Ansturm nicht gewachsen sein konnte. Was danach folgte, war jedoch nur hektischer Aktionismus. Aus Kanzleramt und Ministerium bis hinein in die Bamf-Außenstellen. Um die enorm gewachsenen Anträge wenigstens irgendwie rechtsstaatlich und in halbwegs überschaubarer Zeit abzuarbeiten, wurde aufs Tempo gedrückt, wurde teilweise auch nicht so genau hingeschaut. Jeder erledigte Antrag, im Zweifel zugunsten des Flüchtlings, machte den Berg unerledigter Fälle etwas kleiner. Der damalige Behördenchef Frank-Jürgen Weise, von der Bundesagentur für Arbeit als oberster Krisenmanager herübergeholt und mit dem Zweitjob betraut, folgte dem Drängen der Politik. Es wurden Abläufe verschlankt, neue Mitarbeiter eingestellt, viele nur befristet. Aber leider hinkte deren Qualifizierung den Anforderungen oft nach. Auch die Kontrolle innerhalb des Bamf ließ dramatisch zu wünschen übrig. Anders sind die haarsträubenden Fälle in der Bremer Außenstelle und anderswo nicht zu erklären. Sogar "nachrichtendienstlich relevante Personen", wie es im Behördendeutsch heißt, erhielten Schutzstatus. Hinzu kam der Wirrwarr an Kompetenzen zwischen Bundes- und Länderbehörden, die Fälle, wie den des tunesischen Terroristen vom Berliner Breitscheidplatz Anis Amri, erst möglich machten, zumindest nicht vorbeugten. Hätte es die Schlamperei der Behörden nicht gegeben, hätten nicht zwölf Menschen sterben müssen. Allerdings steckt hinter der heutigen Empörung über das Bamf-Schlamassel bei FDP, AfD und in vielen Medien auch ein gehöriges Stück Scheinheiligkeit. Über die Überforderung der Flüchtlings-Behörde und über das nur unzureichende Gegensteuern der Politik ist in den vergangenen Monaten immer wieder berichtet worden. Dass nun viele gewissermaßen hyperventilieren, wenn sie nur Bamf hören, ist reichlich absurd. Wie auch immer: Der Bamf-Schlamassel muss nun schnell und gründlich aufgeklärt werden. Einen Untersuchungsausschuss, der erst in Monaten arbeitsfähig wäre und dessen Ergebnisse erst in Jahren vorlägen, braucht es dazu nicht. Merkel und Co. können auch vor dem Bundestags-Innenausschuss zu ihrer Verantwortung befragt werden. Wichtiger als parteipolitische Schauveranstaltungen sind rasche und wirkliche Änderungen beim Bamf. Markus Söder will derweil in Bayern mit Ankerzentren und Abschiebungen in Eigenregie zeigen, wie es bessergeht. Man kann nur hoffen, dass der CSU-Wahlkämpfer den Mund nicht so voll nimmt, wie weiland die Wir-schaffen-das-Kanzlerin Merkel.
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