Mittelbayerische Zeitung: Vor einem Scherbenhaufen
Nur auf den ersten Blick geht es im Nervenkrieg der Union um Seehofer gegen Merkel. Dahinter steckt auch ein Kampf um die strategische Ausrichtung. Von Reinhard Zweigler
Regensburg (ots)
Wenn zwei Elefanten miteinander kämpfen, wird viel Gras zertrampelt, besagt ein afrikanisches Sprichwort. Wie sehr die beiden Chefs der Unionsparteien, Angela Merkel und Horst Seehofer, bei ihrem erbitterten Streit um die Flüchtlingspolitik die politische Landschaft zerstört haben, ist noch nicht völlig ausgemacht. Der Schaden jedoch ist bereits jetzt immens, egal, welche personellen Konsequenzen der Showdown noch fordern wird. Der Noch-Bundesinnenminister Seehofer hat mit seinem penetranten Beharren auf einem deutschen Alleingang bei der Zurückweisung von bereits registrierten Flüchtlingen an der Grenze die Regierung destabilisiert, die Koalition einer bisher nie dagewesenen Belastung ausgesetzt und obendrein versucht, die eigene Kanzlerin zu stürzen. Und die ohnehin wankende EU schaut verstört und besorgt auf das Desaster in der deutschen Politik. Aus dem Musterschüler Deutschland ist ein Sorgenkind geworden. Binnen weniger Tage einen solchen politischen Scherbenhaufen anzurichten, das muss man erst mal schaffen. In Berlin geht es derzeit vordergründig um die beiden Kontrahenten, Seehofer versus Merkel, um zwei Kontrahenten, die sich nun zum alles entscheidenden Endspiel gegenüber stehen. Einer, eine wird als Sieger/in vom Platz gehen. Der oder die andere als Verlierer/in davonschleichen. Und in der Tat versucht der offenbar zum Äußersten entschlossene Bundesinnenminister, mit seinem krawallig angekündigten Rücktritt auch die Kanzlerin mit in Abgrund zu reißen. Er will nicht, wie die Friedrich Merz, Roland Koch, Christian Wulff, Wolfgang Schäuble und andere Merkel-Kontrahenten, in ihrer Trophäensammlung landen. Alle, die bislang an ihrem Stuhl gesagt haben, hat Merkel überlebt, abserviert, auf Posten weggelobt, in ihre Kabinettsdisziplin eingebunden oder sonstwie kleingekriegt. An ihm sollte sich die Ostdeutsche jedoch die Zähne ausbeißen, mag Seehofer gehofft haben. Das könnte sich jedoch als große Fehleinschätzung erweisen. Vordergründig geht es um Personen, weil Politik immer von Menschen transportiert wird. Doch nur auf den ersten Blick geht es im jetzigen Nervenkrieg der Union um Seehofer gegen Merkel. Dahinter steckt jedoch auch der Kampf um die künftige strategische Ausrichtung der Union. In der CSU ist man nicht nur wegen Merkels störrischen Verweigerns eines nationalen Alleingangs bei der Zurückweisung von Flüchtlingen erbost, sondern auch, weil vielen deren ganze liberale Politik nicht passt. Mit ihrem Kurs in die linke Mitte hinein hat die Kanzlerin zwar der SPD viel Wasser abgegraben, doch den national-konservativen Flügel der Union hat sie ausdörren lassen. Hier tummelt sich nun ungeniert die AfD, die obendrein der CSU die Alleinherrschaft im Freistaat Bayern abspenstig machen könnte. Doch wenn ein solches Desaster droht, dann reagiert die CSU nicht nur höchst hektisch, sondern neigt bisweilen auch zu irrationalem Verhalten. Seehofers angedrohter, dann wieder relativierter und ausgesetzter Rücktritt ist ein Lehrbeispiel dafür, wie man es nicht machen sollte. Denn was der CSU-Chef als Geradlinigkeit und Glaubwürdigkeit darstellen möchte, verunsichert die Partei und ihre potenziellen Wähler noch zusätzlich. Gewählt werden nämlich nicht unerbittliche Streithansl, sondern ehrliche Arbeiter, die - wenn es notwendig ist - auch zu Kompromissen bereit sind. Vor allem im eher konservativen Lager haben zudem Geschlossenheit und zivile Umgangsformen einen hohen Stellenwert. Merkel, die sich am Anfang des Streits in der Defensive befand, hat die völlig überzogenen CSU-Attacken geschickt zur Absicherung ihrer Kanzlerschaft umfunktionieren können.
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