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Mittelbayerische Zeitung: Leitartikel zu Debattenkultur/Asyl-Rhetorik: Der Klimawandel von Christian Kucznierz

Regensburg (ots)

Während die Bayern nun in die Ferien gestartet sind, liegt über dem Land eine Hitzewelle - nicht nur die echte mit täglich über 30 Grad. Auch das gesellschaftliche Klima ist aufgeheizt seit Monaten, vielleicht so sehr, wie noch nie. Wer dieser Tage einen Blick in die Sozialen Netzwerke wirft, dem wallt eine heiße Wand aus Erregung entgegen. Häme ist da noch das Angenehmste, was sich bei Twitter oder Facebook zeigt, oft ist es Aggression und vor allem: Empörung. Alles wird immer im Ton einer absoluten Grundsatzdebatte diskutiert, sofern das Wort die Art der keulenschwingenden Auseinandersetzung überhaupt trifft. Wer seine Meinung hat, hat die Wahrheit gepachtet. Der andere ist ein Idiot, so der Tenor. Und weil es viele gibt, die so denken, hat sich die veröffentlichte Meinung im Netz sämtlicher Grautöne entledigt; es gibt nur noch schwarz und weiß, gut und böse, wobei jeder glaubt, der Gute zu sein. Diese Art Entrüstungsextase macht leider auch nicht halt vor Journalisten, die natürlich ihre Meinung haben und diese - siehe diese Zeilen - auch veröffentlichen. Aber es kommt auf den Stil an. Kolleginnen und Kollegen, die sich permanent über die CSU empören oder über die AfD entrüsten, laufen Gefahr, ihre eigene Glaubwürdigkeit und die der Branche aufs Spiel zu setzen. Der Vorwurf, dass Medien nur mehr einheitliche Meinungen vertreten, ist schwer zu entkräften, wenn Medienmacher Teil der Empörungsspirale sind. Das bedeutet nicht, dass man gut finden muss, was in München gesagt und beschlossen wird. Es bedeutet auch nicht, dass man es hinnehmen muss, wenn AfD-Spitzenfrau Alice Weidel auf Twitter davon spricht, dass man sich "unser Land zurückholen" müsse (zumal "unser Land" recht diffus ist; ab wann hat man Anspruch auf ein Stück Deutschland? In der zweiten, dritten, x-ten Generation? Noch skurriler wird es, denkt man daran, dass Weidel in der Schweiz lebt). Eine Meinung hat jeder. Auch das Recht zur Empörung. Aber jeder sollte sich überlegen, ob er jedes Mal auf die Bäume steigen muss - und ob er sich und dem Gesamtdiskurs nicht schadet, wenn er dieses Auf-den-Baum-Steigen und von dort Herunterbrüllen auch noch öffentlich macht. Es wäre zudem falsch zu glauben, dass diese Hitze der meist unsachlichen Debatten keine Auswirkung auf das Leben außerhalb der Filterblase der Sozialen Netzwerke habe. Die politische Debatte hat ebenfalls eine Überspitzung und Unsachlichkeit angenommen. Man kann etwa mit dem politischen Kurs der CSU unzufrieden oder enttäuscht sein, man kann sie ablehnen, sie zutiefst verachten. Aber ihnen Extremismus oder Rassismus vorzuhalten, ist Blödsinn. Richtig ist aber, dass der kläglich gescheiterte Versuch, die Lautsprecher am rechten Rand des politischen Spektrums durch das Aufstellen noch lauterer Verstärkeranlagen zu übertönen, Auslöser für den politischen Klimawandel ist. Bayerns Ministerpräsident Markus Söder, Bundesinnenminister und CSU-Chef Horst Seehofer und Landesgruppenchef Alexander Dobrindt haben mit ihren Zuspitzungen und Verbalattacke das politische und gesellschaftliche Klima in Deutschland vergiftet. Sie haben ignoriert, dass die zehn plus X Prozent der Wähler, die die AfD wählen, nur ein Teil der Gesamtwähler sind, von denen 90 minus X Prozent eben nicht rechts wählen. Man darf die Zahlen nicht überbewerten, aber dass vergangenes Wochenende 25 000 Menschen oder mehr auf die Straßen von München gegangen sind, um gegen die Politik der CSU zu demonstrieren, ist ein Zeichen. Selbst wenn die Gruppe derer, die dort demonstriert haben, eine eindeutige politische Orientierung haben: Wann zuletzt hat sich die Öffentlichkeit so stark politisieren lassen? Die Menschen interessieren sich wieder für Politik. Das ist, angesichts der Landtagswahlen, das einzig Gute an den überhitzen Wochen, die hinter uns liegen. Auch, wenn unsicher ist, ob es am 14. Oktober auch wirklich ein Donnerwetter geben wird.

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