Mittelbayerische Zeitung: Einfach und doch so kompliziert
Die Leichtathletik-EM wird gut ankommen. Doch der Sport bräuchte mehr nur eine Woche Aufmerksamkeit - Formate wie Biathlon. Von Claus-Dieter Wotruba
Regensburg (ots)
Leichtathletik ist einfach. Sehr einfach. Jeder hat wenigstens eine grobe Ahnung. Denn jeder ist schon mal gelaufen und weiß, wie sich das anfühlt. Jeder ist auch schon mal gesprungen, auch wenn es in Weite und Höhe für Otto Normalverbraucher eher Hüpfer sind. Jeder hat auch geworfen. Irgendwas, und sei es der Schlagball, wie das früher mal üblich war in der Schule. Das ist zwar keine olympische Disziplin, aber macht es nachvollziehbar. Wer es am schnellsten oder weitesten kann, der ist der Beste. So weit, so gut. Aber mit der Leichtathletik ist es irgendwie auch schrecklich kompliziert. Es wird nicht allen gefallen: Aber vielleicht ist die gute, alte Leichtathletik tatsächlich eine der sich selbst am schlechtesten verkaufenden Sportarten. Gut, bei Olympia ist Laufen, Werfen, Springen immer noch das Herzstück und Schwimmen das andere. Und doch: Wo ist sie sonst die Wahrnehmung? Dieser Tage wird sie sicher wieder nach oben schnellen. Die Heim-EM gut zur besten Sendezeit. Das ist ja was. Vor neun Jahren bei der Weltmeisterschaft musste man die öffentlich rechtlichen Fernsehanstalten fast nötigen, das zu tun, weil die Zweifel an manierlichen Einschaltquoten groß waren. Diesmal war davon nichts zu hören. Im Gegenteil: Sport und Fernsehen schnüren in Glasgow und Berlin ein Gemeinschaftspaket mit sieben Sportarten und versuchen in Zeiten, in denen es im TV-Sport vor allem um Fußball, aber auch um Fußball und dann noch um Fußball geht, entgegenzusteuern. Klar ist: Das Projekt wird gelingen, vornehmlich für die Leichtathletik. Zumindest vordergründig. Eine Woche lang werden spektakuläre Bilder mit Zeitlupen und Emotionen in alle Richtungen in die Wohnzimmer transportiert und im Stadion goutiert. Aber was kommt danach? Leichtathletik ist eine der ursprünglichsten Formen des Sports - und reduziert sich doch auf die Momentaufnahmen von Olympia, Welt- und Europameisterschaften. Einmal im Jahr eine Woche oder ein bisschen mehr, das war's. Wer hierzulande verfolgt die Diamond League, die höchste Kategorie von dem, was früher einmal Sportfest hieß? Wen juckt eine Team-EM, obwohl dort nicht nur Siege, sondern jeder Platz und jeder Punkt zählt? Und wohin strömen Zuschauer? Zu sehen auch in Regensburg: Die Sparkassen-Gala bringt seit 2006 Sportler zuvor ungeahnter Qualität in die Stadt, trotzdem lockt ein sechstklassiges Fußball-Relegationsspiel mehr Fans. Leichtathletik ist auch in der Schule, wo so mancher Lehrer so manches Talent entdeckte, nicht mehr so fester Bestandteil wie es das einst war. Eltern schützen ihre Kinder vor Niederlagen, weil sie das seelisch so schwer verkraften. Dabei ist der Lernfaktor so einfach wie Leichtathletik wäre: Der eine kann schnell laufen, der andere kann besser rechnen. Wo ist das Problem? So ist das bei Menschen. Natürlich torpediert sich die Leichtathletik auch selbst. Natürlich kann man gut nachhelfen - und tut es reichlich (übrigens nicht nur bei den bösen Russen). Lange, viel zu lange, wurden derartige Taten von den Leichathletik-Höchsten nicht nur gefördert, sondern daran sogar verdient. Dazu schafft es die Leichtathletik nicht, ihr Plus zu vermarkten: Wer weiß, ob 1:44 oder 1:54 Minuten über 800 Meter der Männer schnell sind oder nicht? Wer schneller im Ziel ist, sieht jeder. Biathlon zum Beispiel hat es mit weit weniger Potenzial zu weit höherer Aufmerksamkeit geschafft, weil die Formate passen. Ein nachvollziehbares Liga-System für Athleten auch international oder/und Nationalmannschaften in der Leichtathletik wäre bestimmt machbar. So wird der Effekt nach Berlin wohl flott wieder verpuffen. 2019 kommt eine WM in Katar mit einem Marathon um Mitternacht. Leichtathletik ist eben verflucht kompliziert.
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