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Mittelbayerische Zeitung: Kommentar zu Brücken/Genua

Regensburg (ots)

Einsturzgefahr

von Claudia Bockholt

In der Heimat der weltberühmten "German Angst" ist sie unausweichlich: Kaum stürzt in Italien eine Brücke ein, verfällt Deutschland in panische Sorge. Wie sicher sind unsere Brücken? Kann man noch ohne Angst um sein Leben Täler und Flüsse überqueren? Die gute Nachricht: Ja, man kann. Die so oft kritisierte Regelungswut der Behörden sorgt für regelmäßige Überprüfung und rechtzeitige Sperrung von gefährlichen Bauwerken. Die schlechte Nachricht: Überlebenswichtige, weil zukunftssichernde Investitionen in die Infrastruktur kommen kaum voran. Gerade verbreitete das Statistische Bundesamt die erfreuliche Botschaft, dass das Wachstum in Deutschland überraschend um ein halbes Prozent zugelegt hat. Der Chefvolkswirt einer deutschen Bank frohlockt, dass das "goldene Jahrzehnt" dauerhaften Aufschwungs nun tatsächlich vollendet wird. Herrliche Zeiten und wir mittendrin - umgeben von himmelwärts sprudelnden Steuerquellen und überquellenden Fördertöpfen. So weit die glänzende Oberfläche. Doch kratzt man am Lack , zeigt sich bröckelnde Substanz. Privater Konsum und Staatsausgaben stecken hinter dem Plus. Die Bundesregierung rechnet damit, dass die Sozialausgaben bis 2021 erstmals über die Billion-Marke klettern werden. Trotz niedriger Arbeitslosigkeit fließt ein Drittel des Bruttoinlandsprodukts in staatliche Fürsorge. Und viele derer, die heute arbeiten, sind trotz Mindestlohns die Grundsicherungsbezieher von morgen. Der ohnehin klägliche Anteil der Ausgaben für Verkehrswege indes sinkt seit Jahren kontinuierlich: Er beträgt mittlerweile weniger als ein halbes Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Was es für die Wirtschaft vor Ort bedeutet, wenn das regionale Verkehrsnetz nahezu täglich kollabiert, zeigt sich zurzeit eindrucksvoll in der Region Regensburg. Erst seit alle im Dauerstau hängen und die Beschwerden der Pendler immer lauter werden, hat auch die Politik das Problem in seiner vollen Tragweite erkannt. Die fetten Jahre, in denen eigentlich genug Geld für Straßen, Schulen, Stromnetze und digitale Infrastruktur vorhanden gewesen sein sollte, werden möglicherweise bald vorüber sein. Deutsche Unternehmen melden in Folge sinkende Auftragseingänge, das Weltwirtschaftsklima trübt sich stark ein. Nicht wenige Wirtschaftsexperten fürchten, dass sich der stete Aufschwung seinem Zenit nähert. Es sieht nicht so aus, als hätten die Regierungen unter Kanzlerin Merkel die lange Zeit der ökonomischen Prosperität klug genutzt. Es fehlt an so vielem: zu wenig sozialer Wohnungsbau; baulich marode und digital unterentwickelte Schulen, zu wenig Lehrer; keine Antwort auf die Alterung der Gesellschaft, die das Gesundheits- und Rentensystem enorm belastet. Das Ausgabenvolumen der Pflegeversicherung ist allein 2017 um 25 Prozent gestiegen. Zwar ist die Gesamtsumme mit unter 40 Milliarden Euro noch überschaubar, doch die Summe wird, wie in der Renten- und Krankenversicherung, weiter wachsen. Die Politik verteilt unverdrossen Geld: Auch im Freistaat besteht Wahlkampf vor allem darin, Zuschüsse in Aussicht zu stellen: für Kinder, fürs eigene Häuschen, für ÖPNV, für Tourismus. Eigentlich sollten unter dieser Gießkanne für jeden Bayern ein paar Tröpfchen hängenbleiben. Nachhaltigkeit sieht anders aus. Die Frage ist allerdings, ob man mit unbequemen Wahrheiten Wahlen gewinnen kann. Die Bürger fordern zwar immer den ehrlichen Politiker, aber sie wählen ihn nicht. Also wird weiter an Potemkinschen Dörfern gebaut. Mit den Staatsfinanzen ist es wie mit den vielen sanierungsbedürftigen Brücken in Deutschland. Noch kann man unbesorgt drüberfahren. Doch wenn nichts geschieht, droht irgendwann der Einsturz.

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