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Mittelbayerische Zeitung: Kommentar zu Chemnitz/Extremismus

Regensburg (ots)

Gerüchte und rechte Gewalt

von Christine Straßer

Rund 800 Menschen pöbelten und randalierten am Sonntag in der Chemnitzer Innenstadt, darunter Rechtsextreme. Die Ermittlungen der Polizei liefen noch, aber für die Brüllenden standen die Schuldigen bereits fest. Einige Randalierer stürmten auf jeden los, der nicht deutsch aussah. Dabei war zu den Hintergründen eines Streits, bei dem ein 35-Jähriger tödlich und zwei weitere Männer schwer verletzt wurden, zu diesem Zeitpunkt noch so gut wie nichts bekannt. Auch am Montag blieb nach der Nachricht, dass gegen einen Syrer und einen Iraker Haftbefehl erlassen wurde, noch vieles zum Tatmotiv und Tathergang unklar. Was sich am Sonntag in Chemnitz abspielte, hatte nichts mit Trauer zu tun. Rechtsextreme machten sich den Tod eines Menschen zunutze. Im Netz hieß es schnell, dass vor der Auseinandersetzung eine Frau belästigt worden sei und die Situation eskalierte, als mehrere Männer ihr zur Hilfe eilen wollten. Das war am Sonntagnachmittag nicht mehr als ein Gerücht. Die Polizei versuchte, schnell entgegenzutreten: Es gebe "nach jetzigem Ermittlungsstand keinerlei Anhaltspunkte", dass der Auseinandersetzung eine Belästigung vorausgegangen sei, schrieb sie am Sonntagnachmittag auf Twitter. An der Wut des rechten Mobs änderte das nichts. Die extreme Rechte nutzt jeden Anlass, um über Mahnwachen, Demonstrationen oder Hashtag-Kampagnen gegen die angeblich totale Bedrohung durch "fremde Männer" zu mobilisieren. Dabei spielt es keine Rolle, ob der Anlass echt oder erfunden ist. Denn das Thema "Wir müssen unsere Frauen schützen" weckt zielsicher Emotionen. Es führt dazu, dass Leute in den sozialen Medien Meldungen schnell teilen. Das wissen auch die rechten Scharfmacher, für die Frauenrechte nur so lange eine Rolle spielen, wie der Täter einen ausländischen Pass hat. Zu weiterem Protest in Chemnitz wurde aufgerufen. Viele Beiträge in den sozialen Medien lesen sich so: Es reicht, wir Deutschen müssen uns wehren und jetzt "endlich aufräumen". Wie dieses Aufräumen aussieht, ist am Sonntag deutlich geworden. Es handelt sich um gewalttätige Ausschreitungen. Was sich in Chemnitz abspielte, erinnert an Bilder aus den sächsischen Orten Bautzen, Clausnitz und Heidenau. Rassismus ist in Sachsen ein besonderes Problem, weil man die rechte Szene jahrelang hat gewähren lassen. Zu verhalten war und ist der Widerspruch, wenn Pegida-Demonstranten montags durch Dresden ziehen, zu zaghaft die strafrechtliche Verfolgung von rechtsextremen Umtrieben. Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer hätte unzählige Gelegenheiten gehabt, seinen Landsleuten zu erklären, dass Sachsen mit einem Anteil der ausländischen Bevölkerung von 4,2 Prozent nur ein Drittel von dem der Bayern hat - und Angst vor einer Überfremdung ganz und gar unbegründet ist. Er könnte auch anführen, dass die Arbeitslosenquote immer noch auf einem historischen Tiefststand ist. Im Juli lag sie bei 5,9 Prozent. In keinem anderen Bundesland ist die Arbeitslosigkeit im Jahresvergleich so stark zurückgegangen wie in Sachsen. Dass Migranten dort anderen Arbeitsplätze wegnehmen, ist schlicht falsch. Solche Diskussionen werden aber viel zu selten geführt. Stattdessen durften und dürfen viele Sachsen ungeniert behaupten, es gäbe eine "Masseneinwanderung", den Migranten werde "alles bezahlt" und das Land immer "unsicherer". Wer sich durch die sozialen Netzwerke liest, dem schlägt aus Chemnitz eine Stimmung der Selbstjustiz entgegen. Wer aber denkt, nur Sachsen habe ein Problem, der liegt falsch. Denn das Problem heißt Rassismus. Es gibt ihn an vielen Orten und er bedroht den gesellschaftlichen Zusammenhalt. Diese Bedrohung muss mit aller Macht bekämpft werden. In Sachsen und überall.

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