Mittelbayerische Zeitung: Smartphone auch mal abschalten
Auf sein Mobiltelefon will wohl keiner mehr verzichten. Wir haben uns abhängig gemacht - und sollten dringend gegensteuern.Von Louisa Knobloch
Regensburg (ots)
Haben Sie heute schon auf Ihr Smartphone geschaut? Für viele Menschen ist ihr Mobiltelefone das erste, was sie nach dem Aufstehen in die Hand nehmen und das letzte, was sie vor dem Zubettgehen auf den Nachttisch legen. Wir schauen, ob neue WhatsApp-Nachrichten oder Mails eingegangen sind oder was auf Facebook, Instagram oder Twitter los ist. Die Geräte haben unsere Gesellschaft, unser Verhalten verändert - und das in gerade einmal gut zehn Jahren: 2007 kam das erste iPhone auf den Markt. Zugegeben, die Geräte sind wirklich praktisch. Mails checken, mit Freunden kommunizieren, die neuesten Nachrichten lesen, Musik abspielen, Fotos machen, Videos aufnehmen und bearbeiten - die immer leistungsfähiger werdenden Geräte sind ein komplettes mobiles Büro. Für jeden Bedarf gibt es die passende App. Langeweile auf Bus- oder Bahnfahrten? Fehlanzeige. Mit dem Smartphone stehen alle Möglichkeiten offen - vorausgesetzt, der Akku ist geladen und WLAN verfügbar. Die negativen Folgen, über die Manfred Spitzer in seinem neuen Buch "Die Smartphone-Epidemie" schreibt, wurden bislang eher wenig beachtet. Man kann dem Ulmer Psychiatrie-Professor vorhalten, dass er mit seinen plakativen Thesen den Verkauf seiner Bücher ankurbeln will - nachdenklich machen seine Argumente auf jeden Fall. Auch wenn die meisten Menschen von sich weisen würden, smartphonesüchtig zu sein - aus dem Alltag gibt es genug Beispiele für fragwürdiges und bedenkliches Verhalten: Paare oder Freunde sitzen sich im Restaurant gegenüber und jeder schaut nur auf sein Smartphone. Persönliche Gespräche werden sofort rüde unterbrochen, sobald das Smartphone in der Tasche klingelt. Unfälle passieren, weil Autofahrer auf ihrem Smartphone tippen oder Fußgänger mit Blick nach unten als "Smombie" über die Straße gehen. Und beim Versuch, an spektakulären Orten Selfies zu machen, stürzen immer wieder Menschen in den Tod. Die heutigen Kinder und Jugendlichen sind die erste Smartphone-Generation. Sie gehen technisch souverän mit den Geräten um - doch eine kompetente, verantwortungsvolle Nutzung haben die meisten nicht gelernt. Von wem auch? Die meisten Eltern sind leider schlechte Vorbilder. Erst kürzlich organisierte ein siebenjähriger Junge in Hamburg eine Demo unter dem Motto "Spielt mit MIR! Nicht mit Euren Handys!" Später kehrt sich das Problem oft um und Eltern streiten mit ihren Teenagern darum, dass der Abendbrot-Tisch handyfreie Zone bleibt. Die Jugendlichen verbringen einer Studie zufolge im Schnitt drei Stunden pro Tag mit sozialen Medien wie WhatsApp, Instagram oder Snapchat. Die Angst etwas zu verpassen - Fear of missing out, kurz FOMO - setzt die Jugendlichen unter Druck. Mit zunehmender Nutzung sozialer Netzwerke (meist über das Smartphone) steigen Unzufriedenheit und das Risiko, eine Depression zu entwickeln. Follower, Likes und Kommentare ersetzen die echte Zuneigung und menschliche Wärme von Offline-Beziehungen. Bedenklich ist auch die zunehmende Ich-Zentriertheit: "Schaut mal, mein tolles Essen" oder "Mein toller Urlaubsort" verkünden die Bilder. Wohl keine andere Generation vorher hat so viele Fotos von sich selbst gemacht. Spitzer sieht im Ersatz realer sozialer Kontakte durch Bildschirmmedien einen Grund dafür, dass die Empathie in der Gesellschaft abnimmt. Smartphones wieder abzuschaffen oder Jugendliche komplett davon fernzuhalten, ist illusorisch. Wichtig ist, sich der Risiken bewusst zu werden und zu einem guten Nutzungsverhalten zu kommen, mit dem wir auch der nächsten Generation ein Vorbild sein können. Das Smartphone hat einen Aus-Schalter. Wir sollten ihn öfter benutzen.
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