Mittelbayerische Zeitung: GroKo auf wankendem Grund
Das bayerische Wahlergebnis stürzt die Regierung tiefer in die Krise. Und die Hoffnung,Vertrauen zurückzugewinnen, ist äußerst vage. Von Reinhard Zweigler
Regensburg (ots)
Nach der Bundestagswahl im Herbst 2017 hatte Horst Seehofer versprochen, man habe verstanden. Ein Weiter so dürfe es nun nicht geben. Doch dem Versprechen folgte nicht nur eine äußerst zähe Regierungsbildung, sondern vor allem der quälende und sinnlose Streit um Abschiebungen an der deutschen Grenze sowie das Hickhack um ein paar Äußerungen des Verfassungsschutz-Chefs. Jedes Mal stand die Berliner Koalition am Abgrund. Und es hätte nicht viel gefehlt, sie wäre abgestürzt. Den Willen einer Mehrheit der Wähler und Wählerinnen, die sich vor allem eine handlungsfähige, stabile Regierung gewünscht hatten, die ihre Probleme anpackt, hat der oberste Streithansel Horst Seehofer offenbar völlig missverstanden. Das bayerische Wahlergebnis vom Sonntag mit Verlusten von rund 20 Prozent für zwei der drei GroKo-Parteien in Berlin stürzt die ohnehin wankende Koalition im Bund noch tiefer in die Krise. Denn was nützen all die Schwüre nach der Wahl, nun aber ganz sicher zur Sacharbeit zurückzukehren, wenn wirkliche Konsequenzen ausbleiben? Die CSU verschiebt die Aufarbeitung der Klatsche vom Sonntag in irgendwelche Gremien. Über das verantwortliche Spitzenpersonal, Horst Seehofer und Markus Söder, wird gleich gar nicht diskutiert. Schließlich müsse in München rasch eine neue Regierung gebildet und in Berlin weiter gearbeitet werden. Das Signal der Bayernwahl ist offenbar bereits wieder verpufft. Die angeschlagenen Seehofer und Söder flüchten ins politische Alltagsgeschäft. Die CSU verhandelt in München gewissermaßen mit sich selbst über eine Koalition, die den Freistaat künftig regieren wird. Die Freien Wähler von Hubert Aiwanger sind gewissermaßen eine etwas ländlicher, rustikaler und bodenständiger aufgestellte Zweit-Ausgabe der Christsozialen. Auch personell sind zahlreiche FW-Politiker Fleisch vom Fleische der CSU. Selbst wenn viele von ihnen mit der gerupften Staatspartei eigentlich nichts am Hut haben wollen. Für die Koalition im Bund ist wichtig, dass die Machtbastion der CSU im Freistaat zwar etwas angekratzt, aber im Grunde nicht infrage gestellt wurde. Für den zweiten großen Wahlverlierer in Bayern, die SPD, gilt sinngemäß, dass man am schwarz-roten Bündnis im Bund festhalten wird. Die einzige wirkliche Alternative, Austritt aus der GroKo und dann wahrscheinlich Neuwahlen, fürchtet die sozialdemokratische Trümmerfrau Andrea Nahles offenbar noch mehr als das beständige Dahinsiechen. Auch ihr Versprechen zu Beginn der GroKo, die SPD werde zugleich regieren und sich erneuern, ist verraucht. Klar haben die unwürdigen Seehofer-Merkel-Festspiele dieses Sommers auch dem Ansehen und der Glaubwürdigkeit der SPD arg geschadet. Sie wurde gewissermaßen in Geiselhaft genommen für ein weitgehendes Regierungsversagen, zumindest eine politische Blockade und Lähmung des Landes. Doch das ist nur die eine Seite der Medaille. Die SPD, zumal ihre flotte Vorsitzende, muss sich fragen lassen, warum sie mit ihrer soliden Sacharbeit im Bund bei den Wählern nicht mehr punkten kann. Eine Partei, bei der bundesweit weniger als ein Fünftel der Wähler ihr Kreuzchen machen, ist keine Volkspartei mehr. Als Konsequenz aus den herben Verlusten in Bayern dürften CSU und SPD im Bund nun noch stärker auf ihre Eigenständigkeit, auf eigene Lieblingsthemen pochen. Das verheißt leider nichts Gutes. Die Fliehkräfte innerhalb von schwarz-rot dürften noch größer werden. Und ob die gleichfalls angekratzte Kanzlerin Angela Merkel die Differenzen glätten und für halbwegs Stabilität wird sorgen können, ist keineswegs sicher. Sollte die Hessen-Wahl in zwei Wochen für CDU und/oder SPD zum Desaster geraten, könnte auch die wankende Koalition in Berlin vollends abstürzen.
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