Mittelbayerische Zeitung: Ohne Plastik-Bann geht es nicht
Appelle nutzen offensichtlich nichts. Die Menschen warten lieber darauf, dass ihnen die EU-Kommission durch Verbote den inneren Schweinehund zwangsweise austreibt.
Regensburg (ots)
Das war knapp. Hätten sich die Grünen bei der Abstimmung gestern im Europaparlament durchgesetzt, wären Luftballons im Freien demnächst verboten worden. Zum Schutz der Weltmeere. Immerhin den Konservativen scheint aber klar zu sein, dass man nicht auch noch die nächste Generation vergrätzen sollte, wenn die Beliebtheitswerte ohnehin im Keller sind. Der Antrag wurde also abgelehnt. Es bleibt allerdings beim Bann von Wattestäbchen, leichten Plastiktüten, Trinkhalmen sowie Einweggeschirr und -besteck. Essensverpackungen, Plastikflaschen und Einwegbecher sollen "deutlich" reduziert werden - indem sich zum Beispiel die Staaten entsprechende Ziele setzen, die Hersteller oder Läden dazu verpflichten, ein Pfand zu erheben oder alternative Produkte entwickeln. Die Hersteller sollen auch für das Reinigen der Strände, für Recyclingmaßnahmen und Aufklärungskampagnen bezahlen. Das alles, so die Hoffnung, wird Plastikprodukte und Verpackungen so stark verteuern, dass die Kunden ihr Konsumverhalten ändern. Details müssen nun in Verhandlungen zwischen Parlament, Kommission und Rat geklärt werden. Die Zahlen zeigen, dass drastische Maßnahmen nötig sind, wenn die Weltmeere nicht zur Müllkippe verkommen sollen. Nach Expertenschätzungen landen jährlich zwischen 4,8 und 12,7 Millionen Tonnen Plastik im Meer, sie erreichen mittlerweile die tiefsten Meeresschichten - dabei gibt es schon mehrere EU-Gesetze, die sich mit dem Problem befassen. Doch die Produktion hat sich innerhalb von fünfzig Jahren verzwanzigfacht und steigt weiter stark an. Wenn die Entwicklung nicht gestoppt wird, gibt es in wenigen Jahren mehr Plastik im Meer als Fische. Den meisten Menschen ist das Problem durchaus bewusst. In Umfragen äußern sich drei von vier Europäern besorgt über den negativen Einfluss, den Plastikprodukte auf ihre Gesundheit haben könnten. 87 Prozent der Befragten sorgen sich um die Auswirkungen von Plastik auf die Umwelt. Einen Zusammenhang mit dem eigenen Konsumverhalten aber scheinen die Wenigsten zu erkennen. Zugegeben - es erfordert einige Anstrengung, Einwegplastik den Kampf anzusagen. Im Laden werden uns die meisten Produkte ungefragt drei- und vierfach verschweißt präsentiert. Es wäre aber schon ein Anfang gemacht, wenn man nicht jeden Morgen auf dem Weg zur Arbeit gedankenlos den Becher im Coffeeshop entgegennähme und mittags seinen Salat aus einem Plastikschälchen löffelte. Würden nur genug Kunden darauf bestehen, müssten sich die Anbieter umstellen. Unser aller Schizophrenie ist bemerkenswert. Grüne Parteien sind im Aufwind. In Umfragen belegt die Sorge um Gesundheit und Umwelt regelmäßig Spitzenplätze. Gleichzeitig explodiert der Flugverkehr, steigt der Absatz von SUVs, nimmt der Verbrauch von Einwegverpackungen zu. Appelle an die Vernunft nutzen offensichtlich nichts. Die Menschen warten lieber darauf, dass ihnen die EU-Kommission durch Verbote den inneren Schweinehund zwangsweise austreibt. Das steigert dann wieder die Politikverdrossenheit und die Wut darüber, von Brüsseler Bürokraten gegängelt zu werden. Würden wir aber beim Kindergeburtstag selbst darüber nachdenken, aus welchem Material die Deko besteht, wäre das das beste Rezept gegen die Regelungswut der Politiker. Es gibt umweltverträgliche Luftballons aus Naturkautschuk, aber auch zählebige Exemplare aus Gummi und bunt bedruckte aus Folie, die noch im Meer herumschwimmen, wenn unsere Enkel erwachsen sind. Doch das Leuchten in den Kinderaugen ist uns allemal wichtiger als Gedanken an die langfristigen Folgen unseres Tuns.
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