Mittelbayerische Zeitung: Was Deutschland rasend macht
Tempolimit, teurerer Treibstoff - Scheuer hat die Überlegungen einer Regierungskommission zum Verkehr brüsk abgelehnt. Das war voreilig. Von Bernhard Fleischmann
Regensburg (ots)
Unser Bundesverkehrsminister legt gelegentlich ein atemberaubendes Tempo vor. So schnell, wie Andreas Scheuer die Überlegungen einer Regierungskommission zum Klimaschutz mit einem "gegen jeden Menschenverstand" gegen die Wand klatschte, konnte man kaum Luft holen. Um diese Luft geht es irgendwie auch, um eine gesündere. In Scheuers Reflex spiegelt sich mehr ein deutscher Urinstinkt als Abwägung wider. Fatal war, dass sich unter den Ideen das Wort "Tempolimit" befand. Sobald dieser Begriff in Deutschland fällt, geht es gefühlt um eine große Frage der nationalen Identität: Deutschland wäre nicht mehr Deutschland ohne die Erlaubnis, mal alles aus dem Auto rauszuholen. Freie Fahrt und billiges Benzin scheinen die Grundlage für die Ausübung unseres wichtigsten Freiheitsrechts zu sein, die Fronten klar: Bleifuß-Gewalttäter prallen gegen grün-verblendete Angstschleicher. Scheuer findet sich klar im Lager der Freie-Fahrt-Verfechter. Man kann der Meinung sein, der Staat würde zu viel verbieten beziehungsweise allzu kleinliche Vorschriften machen. Man kann argumentieren, wir brauchen die "freien Kilometer" - als Magnet für zahlungskräftige chinesische Touristen, die extra kommen, um mal eilig durch die Landschaft zu stürmen. Und als ebenso kostenfreie wie wirkmächtige Werbung für unsere Autohersteller. Wozu also diese typisch deutsche Gängelei? Um aus dieser Aufregung etwas den Dampf abzulassen, lohnt sich der Blick auf nahezu den ganzen Rest der Welt. Österreich, Schweiz, Frankreich, Italien, USA, China - überall grünideologisch drangsalierte Menschen? Trump, Kurz, Salvini ... wohl kaum. Man könnte auch zu der Einsicht gelangen, dass unsere freie Fahrt eine Fülle dummer Nebenwirkungen hat. Ein Limit bei Tempo 120 oder 130 würde das Stresslevel senken, das wegen der enormen Tempounterschiede entsteht. Der Verkehrsfluss würde besser, es gäbe weniger Staus. Und weniger Unfälle. So würden auch die ultraeiligen Dienstwagenfahrer gezügelt, denen der hohe Spritzuschlag egal ist, weil die Firma zahlt. Der Treibstoffkonsum würde bei generell Tempo 120 um immerhin neun Prozent sinken. Richtig ist, dass wir damit nicht die Welt retten. Aber Klimaschutz setzt sich aus vielen Bausteinen zusammen. Der ADAC argumentiert, man könne wegen des dichten Verkehrs sowieso nur selten schnell fahren. Genausogut könnte man Biertrinken am Steuer erlauben mit dem Hinweis, dass es den meisten Fahrern im Auto eh keinen Spaß macht. Wer auf der A3 Nürnberg-Passau versucht, mit Tempo 130 dahinzusurfen, wird schnell merken, dass er die lahme Ente unter den Pkw ist und seltenst an Lkw vorbeikommt, ohne dass sich jemand in Windeseile in den Rückspiegel zoomt. Um das Klima besser zu schonen, bieten sich noch eine Reihe von Maßnahmen an. Dazu gehört, wie die Regierungskommission erkennt, Benzin und Diesel als Treibstoff gleich hoch nach CO2-Ausstoß zu besteuern und ebenso bei der Kfz-Steuer zu verfahren. Das ist überfällig und würde die großen Spritschlucker treffen. Bleibt das System so, wie es ist, dann dürfte sich der SUV-Hype fortsetzen. Obendrein zeichnet sich eine Mode hin zu monströsen Pick-ups ab. Kleinwagen dagegen werden für die Hersteller uninteressant und verschwinden aus dem Angebot. Da beschleicht einen dann doch der leise Verdacht, dass etwas in die falsche Richtung läuft. Wie man Elektromobile fair behandelt, ist kompliziert. Sie sollten davon profitieren, dass sie leiser sind und vor Ort keine Abgase absondern. Von einer weißen Umweltweste sind aber auch sie weit entfernt. Insgesamt führen die Überlegungen der Kommission dazu, dass Autofahren spürbar teurer wird. Dagegen ist nichts zu sagen, sofern im Gegenzug öffentlicher Nah- und Fernverkehr, Rad- und Fußgängerverkehr besser werden als das Auto. "Wir wollen die Bürger von den Chancen der Mobilität der Zukunft begeistern und mitreißen", betont Scheuer, anstatt nur Zorn und Belastungen auszulösen. Richtig. Es liegt mit an ihm, diese Alternativen anzubieten. Da dürfte er durchaus ein höheres Tempo anschlagen.
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