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Mittelbayerische Zeitung: Die Kirche muss sich wandeln
In 40 Jahren könnten Deutschlands Kirchen nur noch halb so viele Mitglieder haben wie heute. Aber die Gesellschaft braucht sie. Leitartikel von Katia Meyer-Tien

Regensburg (ots)

Ein "Aufruf zur Mission" sei das Ergebnis für ihn sagte Kardinal Reinhard Marx, als das "Freiburger Forschungszentrum Generationenverträge" kürzlich seine Zahlen zur Entwicklung der Mitgliederzahlen Kirchen in Deutschland vorlegte. Die sind dramatisch: Bis 2060 könnte sich die Zahl der Kirchenmitglieder in Deutschland halbieren. Mehrere hunderttausend Mitglieder gehen den beiden großen christlichen Kirchen in Deutschland jährlich verloren. Die Gründe sind vielfältig: Mehr Mitglieder sterben als neu getauft werden. Individualisierungstendenzen in der Gesellschaft, Urbanisierung und vielfältigere Freizeitmöglichkeiten lassen die Kirchen weniger attraktiv erscheinen. All das lässt sich kaum beeinflussen. Umso mehr lohnt sich die Frage, warum sowohl die evangelische wie auch die katholische Kirche auch etwa 100 000 bis 200 000 Austritte pro Jahr verzeichnen müssen. Die meisten Kinder in Deutschland, auch diejenigen ohne Bekenntnis, wachsen im Glauben an einen "lieben Gott" auf. Viele gehen in christliche Kindergärten, besuchen den Religionsunterricht. Kommunion und Konfirmation sind einschneidende Erlebnisse. Kirchentage sind immer auch beeindruckende Demonstrationen jugendlichen Glaubens. Und dennoch, irgendwann im Erwachsenenalter verlieren viele die Bindung zur Kirche. Diejenigen, die austreten, sind häufig zwischen 20 und 39 Jahre alt - genau das Alter, in dem eigene Kinder geboren werden, die dann auch nicht mehr getauft werden. Das ist eine schlechte Nachricht, denn die Kirchen werden gebraucht. Nicht nur als Bewahrer sehenswerter alter Gemäuer und Veranstalter des Krippenspiels an Heiligabend. Neben den Gottesdiensten und der Gemeindearbeit betreiben die Kirchen Kindertagesstätten, Krankenhäuser und Wohnheime. Sie sind nach dem Staat der größte Arbeitgeber im Land, und nicht nur das: Sie sollten - und das ist ihre vielleicht wichtigste Aufgabe - eine gewichtige Stimme sein für Arme und Schwache im gesellschaftlichen Diskurs. Dass sie genau das in den vergangenen Jahren viel zu selten waren und viel zu oft als Anwalt ihrer selbst auftreten mussten, ist vielleicht eines der Grundprobleme. Denn jeder einzelne Austritt muss als Protest gegen die Kirche als Institution gelten. Die wenigsten, die der Kirche den Rücken zuwenden, distanzieren sich vom Glauben an sich. Ein "Aufruf zur Mission", also zur Verbreitung des Glaubens, als Reaktion auf den Mitgliederschwund greift deshalb viel zu kurz. Die Menschen wenden sich ab aus aktuellen Anlässen wie den Finanz- und Missbrauchsskandalen, aus struktureller Kritik an Grundpositionen der Kirche zu ethischen oder gesellschaftlichen Fragen oder aus Enttäuschung, weil die Kirche für viele der Sorgen und Probleme, die junge Menschen beschäftigen, keine Antworten zu haben scheint. Dabei sind die drängendsten Fragen der Gegenwart eigentlich christliche Anliegen: Wie kann die Schöpfung bewahrt werden? Wie können alle am gesellschaftlichen Wohlstand teilhaben? Wie gelingt ein wertschätzendes Miteinander aller Menschen? Die Antworten, die Kirche auf diese Fragen geben könnte, sind zu leise, sie werden übertönt von all den negativen Schlagzeilen, die den Diskurs über Kirche momentan bestimmen. Kirche als Institution muss sich also besinnen auf ihre Aufgabe, schwachen Menschen in unsicheren Zeiten Halt zu geben. Sie muss Diskussionen zulassen, um Antworten finden zu können. Und diese gesellschaftlich deutlicher hörbar machen. Aber: Eine Kirche als religiöse Gemeinschaft ist auch immer nur so stark wie ihre Mitglieder. Ein Austritt mag ein Zeichen des Protestes sein. Wirklich etwas verändern aber kann nur, wer dabeibleibt. Und sich engagiert. Die Bewegung "Maria 2.0" macht es vor.

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