Mittelbayerische Zeitung: Ein Kompromiss muss her!
Der Appell einer prominenten, an ihrer Partei verzweifelnden Politikerin sollte Großbritannien endlich vereinen. Von Sebastian Borger
Regensburg (ots)
Ich nenne mich mit Stolz eine Konservative und eine Unionistin." Mit diesem Satz eroberte eine junge Frau vor acht Jahren den regionalen Vorsitz ihrer Partei. Ruth Davidsons Rücktritt am Donnerstag war für ihre Partei, für die schottische Nation und für das gesamte Vereinigte Königreich ein schwarzer Tag. Der Rückzug der 40-jährigen, aus kleinen Verhältnissen stammenden, in gleichgeschlechtlicher Beziehung lebenden Mutter eines zehn Monate alten Sohnes signalisiert Tory-Anhängern: Moderne Britinnen und Briten haben in der von reichen Privilegierten angeführten Regierungspartei keine Chance. Davidsons Schritt kam nicht zufällig am Tag, nachdem Premierminister Boris Johnson dem Unterhaus eine Zwangspause verordnet und dadurch den chaotischen EU-Austritt seines Landes ("No Deal") erheblich wahrscheinlicher gemacht hatte. Ohnmächtig haben Liberalkonservative der Wandlung der Torys zur englischen Nationalpartei zusehen müssen. Die rund 160 000, überwiegend im englischen Süden beheimateten Mitglieder wollen, wenn es zum Schwur kommt, nicht bewahren, was der "konservativen und unionistischen Partei" einst heilig war: den Zusammenhalt der vier Landesteile England, Schottland, Wales und Nordirland; den sozialen und regionalen Ausgleich des gesamten Königreichs und dessen Wohlstand. Alles egal, gab eine Mehrheit im Sommer bei einer Umfrage zu Protokoll: Wir nehmen die Spaltung des Landes, die Unabhängigkeit Schottlands, den Verlust Nordirlands, schwere Einbußen für die Wirtschaft in Kauf - Hauptsache, der EU-Austritt kommt, notfalls ohne Vereinbarung. Diese Haltung setzt Johnson nun um. Dabei rechtfertigt das Ergebnis des Referendums von 2016 solche Radikalität in keiner Weise. Von No Deal war damals nicht die Rede. Das Ergebnis fiel mit 52:48 Prozent knapp aus, Nordirland und Schottland wollten ebenso in der EU bleiben wie London, Liverpool und Manchester. Johnsons Vorgängerin Theresa May spaltete das Land zusätzlich, ehe sie auf Kompromisskurs ging, damit aber an den Brexit-Ultras in ihrer eigenen Partei scheiterte. Diesen hat Davidson einen flammenden Satz zugerufen: Sollte Johnson wirklich einen Deal mit Brüssel anstreben und im Oktober einen veränderten Vertrag vorlegen, müsse das Londoner Unterhaus "um Himmels Willen" diesmal zustimmen. Alle Umfragen suggerieren, dass die Schottin damit für die Mehrheit spricht: Die Briten sind das schier endlose Gezerre mindestens ebenso leid wie die Menschen in den 27 EU-Mitgliedern. Davidsons Maxime gilt natürlich genauso für die anderen Parteien. Mag die angestrebte Zwangspause fürs Unterhaus auch ein besonders schmutziges Beispiel aus der politischen Trickkiste darstellen - es offenbart die Entschlossenheit des Premierministers, ebenso, wie die übertriebene Reaktion darauf die jämmerliche Zersplitterung der parlamentarischen Opposition manifestiert. Labour leistet sich seit vier Jahren den zu kollegialer Führung und Kompromisssuche unfähigen, von seiner langjährigen Gegnerschaft zur EU gelähmten Altlinken Jeremy Corbyn als Vorsitzenden. Liberaldemokraten, Grüne und die Nationalistenparteien beharren auf der Maximalforderung des EU-Verbleibs, den doch die Mehrheit des Wahlvolkes in einer legalen und legitimen Volksabstimmung verworfen hat. Längst liegen kluge Vorschläge für einen EU-Austritt vor, die das Ergebnis des Referendums respektieren, die Integrität des Landes und den Frieden in Irland garantieren. Premier Johnson sollte sie sich zu eigen machen, die EU täte gut daran, ihm entgegenzukommen. Aber vor allem muss die pragmatische Mehrheit im Unterhaus signalisieren: Wir sind zum Kompromiss bereit.
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